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Der Regisseur John Carpenter mußte vor allem in seiner späteren Karriere viele Nackenschläge einstecken. Die größte „Sollbruchstelle“ seiner Karriere war „Big Trouble in Little China“. Ein Film, der im nachhinein den Respekt und die Anerkennung erntet, die ihm zusteht, doch zum Releasezeitpunkt sah das ganz anders aus. Der für damalige Verhältnisse groß budgetierte Film floppte dank ausführlicher Kritikerschelte ganz fürchterlich. Ähnliches widerfuhr Carpenter mit „Flucht aus L.A.“ zehn Jahre später. Hatte er mitansehen müsse, wie immer mehr Fortsetzungen zu seinem Meisterwerk „Halloween“ Niveau-Limbo tanzten, nahm sich der Meister selbst der Fortsetzung seines Kultfilmes „Die Klapperschlange“ an.

Carpenter erzählt in „Flucht aus L.A.“ beinahe die gleiche Geschichte, wie in „Die Klapperschlange“. Dafür mußte Carpenter viel Prügel einstecken. Ein Umstand, der Steven Spielberg mit „Vergessene Welt“ verziehen wurde, der im selben Jahr die deutschen Kinoleinwände erblickte. Denn Spielbergs Vehikel erzählte „Jurassic Park“ auch noch einmal neu, angereichert um einige neue Ideen. Dies trifft auf „Flucht aus L.A.“ ebenfalls zu. Selbst wenn man „Flucht aus L.A.“ als Remake betrachtet, haben dies auch schon ganz andere Filmemacher getan, wie z.B. Sam Raimi, der mit „Tanz der Teufel 2“ einfach die erste Geschichte nochmals erzählte, dem Film dabei aber einen ganz anderen Ton gab. Ähnliches lässt sich auch zu „Flucht aus L.A.“ sagen. War „Die Klapperschlange“ ein enorm düsterer Film, der eine bedrohliche Zukunftsvision offenbarte, ist „Flucht aus L.A.“ viel mehr comichaft. Carpenter ikonosiert seinen Helden Snake Plissken weiter und lässt ihn diesmal durch eine bunte Comicwelt laufen. Dies passt aber auch zur Location, denn statt New York fungiert diesmal das sonnige Los Angeles als Schauplatz für Snakes Abenteuer. Viele Farben regieren diesmal das Bild, wo der Vorgaänger eigentlich nur eine Farbe kannte: Schwarz. Carpenter gibt „Flucht aus L.A.“ so einen durchaus eigenständigen Charakter, auch wenn die Story zu „Die Klapperschlange“, wie oben schon erwähnt viele Parallelen aufweist.

Zu diesem Comiccharakter passt dann auch ein weiterer Punkt, für den Carpenter sehr scharf kritisiert wurde: Die Special Effects. Sie sind als solche zu erkennen. Gerade in den Szenen, in denen Snake auf einer Monsterwelle surft, um dann vom Surfboard in ein fahrendes Auto zu springen, wirken sie deutlich überzeichnet. Aber dies als verhunzten Effekt abzutun, tut dem Film Unrecht. Der Look der Effekte passt einfach zum Look des Filmes. Irgendwie wirkt alles überdrehter, als in „Die Klapperschlange“. Auch wenn Carpenter nie den Ruf eines Actionregisseurs innehatte (genauso, wie z.B. sein Kollege Wes Craven), inszenierte er die Action in „Flucht aus L.A.“ schön temporeich, immer übersichtlich und nur in Ausnahmefällen mithilfe des Computers. Auch dies verstärkt den ganz eigenen Charme des Filmes, die eben darin besteht, dass die FX nicht immer realistisch aussehen. Zwischen diesen viel kritisierten Szenen (da gibt es auch noch einen Segelflug von Snake, der Anlass zur Kritk gab), gibt es auch viele „bodenständige“ Sequenzen zu sehen, die Carpenter routiniert inszeniert hat und an denen nichts auszusetzen ist, wie Auto- / Motorradverfolgungsjagden und Feuergefechte. Sie sind schön anzusehen und verpassen „Flucht aus L.A.“ ein anständiges Tempo.

Carpenter wäre aber nicht Carpenter, wenn er trotz der farbigen Überzeichnung nicht höchst zynische Visionen einer unmenschlichen Zukunft in den Film einflechten würde. Als Beispiel dafür kann man den Auftritt von Bruce Campbell anführen, der als entstellter Chirurg auf der Suche nach unverbrauchten Körperteilen ist, um diese den längst entstellten Opfern ihres Schönheitswahns zu implantieren. Diese Szenen schneiden wie ein Skalpell in das eigentlich bunte und auch oft komische Setting und erzeugen einen wunderbaren Kontrast. Der Zuschauer lächelt wohl im ersten Moment über diese Szene, doch wenn er etwas darüber nachdenkt, könnte das Lachen im Halse stecken bleiben. Carpenter ist ein guter Beobachter und war seiner Zeit auch 1996 weit voraus, entlarvte er doch so den herrschenden Schönheitswahn mit den überzeichnenden Mitteln eines unterhaltenden Filmemachers. Damals gab es noch keine Shows auf MTV oder VIVA in denen sich junge Leute von Pseudoprominenten beschauen lassen können und dafür Kommentare ernten, die eine Schönheits-OP nahelegen oder gar Heranwachsende bei der ersten Operation begleiten (solch eine Sendung gab es auch schon auf MTV). Insofern steht „Flucht aus L.A.“ auch in der Tradition von „Sie Leben“, in dem Carpenter seine gesellschaftskritischen Ansichten ebenfalls meisterhaft in einen Thriller einfließen ließ. Unter all dem Zuckerguß lauert bei Carpenter oft noch etwas mehr. So auch hier.

Rein schauspielerisch hat Carpenter trotz des Mißerfolgs seiner vorherigen Filme wieder eine enorm ansehnliche Mischung aus schön unterschiedlichen Darstellern gefunden. Über allen thront selbstverständlich Carpenters Lieblingsdarsteller Kurt Russell! Russell ist einfach Plissken. Ein anderer Schauspieler für diese Rolle ist eigentlich nicht denkbar. Das geplante Remake von „Die Klapperschlange“ könnte die Aussage von oben widerlegen, doch dies halte ich für sehr unwahrscheinlich. Russell hat die Rolle in den beiden Filmen so sehr geprägt, dass ein anderer Schauspieler wohl schnell zu einer Parodie auf Russells Leistungen werden wird. Auch in „Flucht aus L.A.“ ist Russell enorm cool, spricht kaum, stelt Emotionen vor allem mit dem Mindestmaß an Mimk dar, die aber sehr wohl in jeder Szene differenziert ist. Neben Russell überzeugt auch Steve Buscemi als verschlagener und leicht linkischer „Map to the Stars“-Eddie, dessen ausdrucksreiche Darstellung sehr gut zu dem comichaften Gesamteindruck des Filmes passt. Gleiches lässt sich auch George Corraface sagen, der den Fiesling Cuervo Jones als völlig durchgeknallte Mischung aus Fidel Castro, Che Guevara und dem Joker anlegt und so zwar zweidimensional bleibt, aber auch den Comiccharakter des Filmes wunderbar unterstützt. Diese hochklassige Besetzung wird durch so gestandene wie talentierte Schauspieler wie Bruce Campbell, Pam Grier und Stacy Keach abgerundet.

Auch für „Flucht aus L.A.“ steuerte Carpenter wieder einen tollen Soundtrack bei, der die Motive seiner Musik zu „Die Klapperschlange“ aufgreift und sie modernisiert. Auch verwendet Carpener Anspielungen auf den Western im Score, genauso, wie auf der Leinwand. Unvergessen in diesem Zusammenhang ist die Szene, in der Snake mehrere Schergen in einem Duell nach den „Bangkok-Regeln“ tötet. Wer den Film gesehen hat, wird sofort wissen, was gemeint ist. Dies ist ein einprägsames Beispiel dafür, dass Carpenter enorm memorable Momente erschafft, die beim Zuschauer verbleiben, sogar in einem solchen Flop, wie „Flucht aus L.A.“.

Dass „Flucht aus L.A.“ so sehr untergegangen ist, ist von der Qualität des Filmes her nicht gerechtfertigt, denn Carpenter erschuf Popcorn-Kino mit Köpfchen und hauchte dem coolsten Outlaw der Filmgeschichte wieder Leben ein. Dies und die liebevolle Inszenierung sollten Grund genug sein, sich den Film anzuschauen, wenn man dies bisher aufgrund der vielen schlechten Kritiken noch nicht getan hat. „Flucht aus L.A.“ erreicht dabei nicht ganz die Wirkung von „Die Klapperschlange“, unterhält den Zuschauer aber auch als eigenständigen Film. Was besonders schade ist: In der „Cinema“-Ausgabe, in der „Flucht aus L.A.“ verrissen wurde, gab es ein kleines Interview mit Carpenter, in dem er von Ideen für eine mögliche zweite Fortsetzung sprach. Diese werde aber nur gedreht, wenn „Flucht aus L.A.“ ein Erfolg werde. Was kam, wissen Filmfreunde, denn leider wurde diese Fortsetzung aufgrund des Mißerfolgs von „Flucht aus L.A.“ nie gedreht. Vielleicht weckt das Remake von „Die Klapperschlange“ ja die Begehrlichkeit nach einem dritten Teil vom Meister selbst. Ich würde mich freuen!

Fazit:

8 / 10

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