Der Gerichts- und/oder Militärthriller hat im Allgemeinen den Ruf weg, seriös und mit einem Spritzer Perfektionismus versehen zu sein. Ähnlich, wie dem Splatter-Horrorfilm (zumindest vom Durchschnittsfilmgucker) die Herkunft aus der Schmuddelecke nachgesagt wird. Das mag daran liegen, dass es vom Genre, dem "High Crimes" entspringt, eher wenige Vertreter gibt, diese dann aber in der Regel bei Kritikern und Publikum gleichermaßen auf Anklang stießen. Was einem so einfällt, sind Filme wie "Der Regenmacher", "Die Jury", "Eine Frage der Ehre" oder "Das Urteil"... allesamt sehenswert. Spontan fällt mir als qualitativ schwaches Gegenbeispiel nur "Rules" ein, wobei ich den wegen zu lange zurückliegender Zeit des letzten Ansehens nicht bewerten will.
"High Crimes" nimmt man nun dankbar als Beweis hin dafür, dass auch Gerichtsthriller qualitativ durchwachsen sein können.
Natürlich fallen die Schwächen in der ersten Filmhälfte noch gar nicht auf. Wie gewohnt werden hochwertige Bilder gezeigt, die kompositorisch bis ins letzte Detail durchdacht sind. Die Dialoge sind zunächst einmal so unauffällig wie glaubwürdig, der Cast kann mit souveränen Namen wie Jim Caviezel oder Morgan Freeman aufwarten. Letzterer passt von seiner Art her und von dem, was man von ihm kennt, optimal in eine Geschichte um das Aufklären einer militärischen Regierungsverschwörung vor Gericht; um so paradoxer, dass er mit seiner skurril-kauzigen Rolle vollkommen gegen den Strich spielt und gerade deswegen positiv heraussticht.
Ansonsten verharrt man nämlich verbissen in den Breitengeraden der Konvention, was unvermeidbar Klischees mit sich führt. Diese tauchen vereinzelt nach der ersten halben Stunde auf, wo sie aber noch nicht stören. Wirklich störend wird es dann gegen Ende, wo sich die Klischees - sowohl charakterliche als auch filmdramaturgische - immer weiter aufbäumen und in einem finalen Storytwist aufgehen, der den negativen Gesamteindruck perfekt macht.
Aber bleiben wir noch beim Beginn und reißen mal kurz die Story an. Es geht um den Ex-Marine Tom Kubik (Jim Caviezel), der aus heiterem Himmel vom FBI und Kollegen beschuldigt wird, in einem früheren Einsatz absichtlich Zivilisten erschossen zu haben. Bei Verurteilung droht die Todesstrafe. Seine Frau Claire (Ashley Judd), von Beruf Anwältin, glaubt an die Unschuld ihres Mannes und vertritt ihn vor dem Kriegsgericht. Weil sie das alleine nicht schafft, heuert sie den altgedienten Militärrechtler Charlie Grimes (Morgan Freeman) an.
Dies ist eine Ausgangsposition, wie sie aus den Klassikern schon lange bekannt ist, die aber grundsätzlich durch Plotvariationen immer für eine Überraschung gut sein kann.
Zugegeben, die Konstellation der Personen untereinander ist relativ neu. Als zusätzliche Komponente wird die Beziehung zwischen Claire und Tom ins Spiel gebracht, da der ehemalige Soldat seine Frau bezüglich seiner Vergangenheit belogen hat und sie ihn trotzdem vor Gericht verteidigt. Insgesamt kann man sich des Eindruckes aber nicht erwehren, alles schon einmal gesehen zu haben. Claire wirkt sowohl funktional als auch vom Aussehen und Verhalten her wie ein Abziehbild von Sandra Bullock in "Die Jury". Parallel dazu steht Morgan Freeman in der selben Position wie sein Pendant Matthew McConaughey, kann aber immerhin mit einer originellen Charakterzeichnung glänzen. Man erfährt von seinen Qualitäten im Job, aber auch seinen Problemen mit dem Alkohol. Dabei sorgt er immer wieder für den nötigen Humor, der das Geschehen angenehm auflockert. Zum Pausenclown wird er dennoch nicht. Stets wandelt er zwischen Lockerheit und Ernst, weiß die aktuelle Situation immer richtig einzuschätzen. Das versucht der Regisseur für den Zuschauer durch den Einbau des Alkoholproblems immer wieder zu verschleiern, was dann in der Tat manchmal für ein wenig Spannung sorgt, weil man eben nie so genau weiß, ob sich Claire nun auf ihn verlassen kann oder nicht.
Vollkommen misslungen dagegen ist der Storystrang um den Junganwalt frisch von der Akademie und Claires Schwester (Amanda Peet). Der junge Pflichtverteidiger des angeklagten Tom ist dann auch der erste ganz offensichtliche Hinweis auf ein Klischee. Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn er denn nicht so vollkommen nutzlos für die Geschichte wäre. Seine Aufgabe besteht lediglich darin, Claires Schwester zu vernaschen, was natürlich bei jedem Mann Verständnis hervorrufen sollte; im Film hat das aber nix zu suchen. Ergo hat Amanda Peet bloß die Aufgabe, knackig auszusehen und ein Techtelmechtel mit dem Militärbübchen anzufangen. Weiß der Himmel, wie das die Story vorantreiben soll.
Strukturell schlägt "High Crimes" wiederum in die selbe Kerbe wie "Die Jury". Es gibt Rückblenden auf den ausschlaggebenden Vorfall in El Salvador (welche mit grellen, "Traffic"-artigen Farbverfremdungen markiert wurden), zwischenmenschliche Momente in privater Umgebung, bei denen die Wahrheit ausgesprochen wird, heißblütige Monologe im Gerichtssaal, bei denen Lügen und Beschuldigungen ausgeteilt werden, und außerdem die Actionsequenzen zwischen den Gerichtsszenen; etwa, wenn Claire nachts in ihrem eigenen Haus von einem Unbekannten mit einer Waffe bedroht wird. Das alles gibt`s auch bei "Die Jury", wobei letztgenannte Szenen in "High Crimes" mitunter Überhand gewinnen.
Derweil verstrickt sich der Plot immer mehr, während er versucht, den Genrekonventionen gerecht zu werden. Diese werden schließlich so weit ausgebaut, aufgeplustert und übertrieben, dass man die Handlung irgendwann nicht mehr ernstnehmen kann. Das scheinbare Ende des Films kommt so abrupt, dass der folgende Plottwist nicht mehr überrascht, sondern im Gegenteil langweilt. Bis zum Moment der Stroywende hofft man sogar, dass der Film nicht so enden möge, wie man es schon von Beginn an im Verdacht hatte - und er tut es doch.
So endet ein Film, der durch Originalität und Abwechslung glänzen und dabei doch konservativ bleiben wollte, auf dem Tiefpunkt. Es gibt keine Klimaxkurve; der Film startet auf dem Höhepunkt (vor allem, was die Erwartungshaltung betrifft; nach den ersten Minuten hatte ich doch trotz der vielen negativen Kritiken einen erstklassigen und mißverstandenen Film erwartet) und sinkt qualitativ gleichmäßig mit jeder Filmminute, bis er im trockenen Tal des vermasselten Plottwists versiegt. Positiv zu vermerken ist lediglich die gelungene Inszenierung (Kamera, Schnitt) und der überraschend skurrile Auftritt von Morgan Freeman. Zwar werden Fans von Gerichtsthrillern trotzdem noch auf ihre Kosten kommen, doch sollten sie dafür einen der schwächeren Vertreter erwarten.
4/10