„Flower Power und Apocalypse"
In einer der stärksten Szenen des Films sitzt Neville allein in einem riesigen Kinosaal und sieht sich „Woodstock" an. Er hat die Dokumentation bereits so oft gesehen, dass er bei den Interviews der Festivalbesucher mitsprechen kann. „Wenn wir nicht alle friedlich zusammen leben können", so einer der Befragten, „wenn man Angst haben muss, auf die Strasse zu gehen. Was für eine Art Leben ist das?"
Dem Zuschauer, der Nevilles Situation bereits in Ansätzen kennen gelernt hat, läuft es bei diesen Sätzen eiskalt den Rücken hinunter. Von friedlichem Zusammenleben keine Spur. Nicht einmal von Leben überhaupt. Neville scheint der einzige Mensch auf Erden zu sein, der letzte Überlebende einer atomaren Katastrophe oder tödlichen Seuche. Bei Tag braust Neville im offenen Wagen allein durch die verwaisten Straßen von Los Angeles. Bei Nacht verbarrikadiert er sich in seinem zur Festung umfunktionierten Wohnhaus. Denn ganz allein ist er offenbar doch nicht.
Dieses wahrlich alptraumhaftes Szenario ist eine recht freie Interpretation des Endzeitromans „I am Legend" von 1954. Autor Richard Matheson vermischte in seinem Erstlingswerk Elemente von Horror und Science-Fiction, eine bis heute in Literatur und Film äußerst beliebte und erfolgreiche Kombination. In der literarischen Vorlage hat eine durch Stechmücken übertragene Seuche die gesamte Menschheit in Vampire verwandelt. Lediglich der Wissenschaftler Robert Neville ist immun. Seine „Andersartigkeit" macht ihn schließlich zur Bedrohung für die Infizierten und führt letztlich zu seinem Untergang.
Für den Film Der Omega Mann nahmen sich die Drehbuchautoren Joyce und John Corrington ein paar künstlerische Freiheiten und passten die Story den 1970er Jahren an. So mussten die Vampire einer Horde zombieähnlicher Sektenmitglieder weichen. Auch sie sind „nachtaktiv" und vertragen kein Sonnenlicht. Nicht Moskitos, sondern ein mit B- und C-Waffen geführter Weltkrieg hat fast die gesamte Menschheit ausgerottet. Die „Zombies" befinden sich im Endstadium der durch die biologischen Kampfstoffe verursachten Seuche. Neville ist nicht nur auf Verteidigung seiner Existenz fixiert, sondern arbeitet auch fieberhaft an einem Gegenmittel und damit an der Rettung der Menschheit. Die Figur der Lisa (Rosalind Cash) ist klar der zur Produktionszeit enorm angesagten „Black Power"-Bewegung geschuldet. Der Film ist insgesamt erheblich optimistischer und hoffnungsvoller angelegt als die düstere literarische Vorlage. Die Woodstock Szene ist keinesfalls ein bloßer Zeitgeist-Gag.
In der starken ersten Filmhälfte erfährt man Schritt für Schritt das Ausmaß und die Hintergründe der Katastrophe. Gleichzeitig wird man Zeuge von Nevilles Tagesroutine, die geprägt ist von Selbstgesprächen, Langeweile und Einsamkeit. Hier gelingen Regisseur Boris Sagal ein paar beklemmende und lange nachwirkende Momente. Das ist zu großen Teilen auch ein Verdienst von Hauptdarsteller Charlton Heston - sonst eher für seine Leinwandpräsenz denn für außergewöhnliche mimische Fähigkeiten bekannt -, dessen überzeugendes Spiel eindrucksvoll die zwei Extreme seines Charakters herausarbeitet. Einerseits den mitfühlenden opferbereiten Menschen, entschlossen, seine Spezies zu retten. Auf der anderen Seite den kalten Wissenschaftler, den die aus der Katastrophe entstandene Bedrohung zum Killer mutieren ließ. Beiden Seiten macht vor allem die völlige Einsamkeit zunehmend zu schaffen. Zum Abdriften in den Wahnsinn jedenfalls ist es nicht mehr weit. Eine Flucht aus LA ist trotzdem keine Alternative für Neville. Lieber lebt er unter tödlichen Feinden als ganz allein.
Auch die Szenen des völlig verwaisten Los Angeles - das Team drehte fast ausschließlich an Sonn- und Feiertagen - gehören zu den intensivsten, weil bedrückendsten Szenen des Films. Leere Straßenschluchten, eingeschlagene Fensterscheiben, verlassene Autos und herumliegende Leichen kreieren eine beängstigend real anmutende Endzeitstimmung. Die Angst vor der Apokalypse wird in diesen Bildern regelrecht spürbar. Der stimmungsvoll-melancholische Score Ron Grainers unterstreicht gekonnt die apokalyptische Atmosphäre.
Leider kann Der Omega Mann das hohe Niveau nicht über die gesamte Laufzeit halten. Als Neville auf weitere Überlebende stößt, beginnt der Film zusehends zu verflachen. Banale Dialoge und eine wenig anrührende Liebesgeschichte stehen im herben Kontrast zum vorangegangenen Zynismus und Nihilismus. Vor allem die Wandlung von einem atmosphärisch dichten, endzeitlichen Horrorthriller hin zu einem Action-lastigen und zunehmend vorhersehbaren Erlöserdrama, lässt einen Großteil der in der ersten Hälfte gekonnt aufgebauten, beklemmend-düsteren Stimmung in sich zusammenfallen. Neben einigen Logikfehlern trägt insbesondere Nevilles (unglaubwürdige) Mutation zu einer Messias-ähnlichen Märtyrerfigur die Hauptschuld an der beschriebenen Entwicklung.
Insgesamt bleibt ein gut gespielter und durchaus unterhaltsamer Endzeitthriller. Dass der Film heute teilweise Kultcharakter genießt und häufig auch als Genreklassiker geadelt wird, verwundert ob der konventionellen und streckenweise sogar seichten zweiten Filmhälfte dann aber doch etwas. Das in den ersten 45 Minuten aufgebaute Potential wird von Regisseur Sagal und dem Autorenduo jedenfalls überraschend leichtfertig verschenkt - zumindest auf den ersten Blick. Analysiert man den Film allerdings auf einer zusätzlichen Deutungsebene und bezieht neben dramaturgischen und inszenatorischen Aspekten auch den historischen Hintergrund mit ein, so erscheinen einige der obigen Kritikpunkte in einem anderen Licht. Als Zeitdokument gewinnt der Film wieder an Profil.
Seit der nur um Haaresbreite an einer Katastrophe vorbei geschrammten Kubakrise (1962) herrschte weltweit eine regelrechte Panik vor einer selbst verschuldeten Apokalypse durch eine nukleare Auseinandersetzung der Supermächte. Diese Ängste und den damit einhergehenden Defätismus spiegelt vor allem der beklemmende erste Teil des Films eindrucksvoll wieder. Demgegenüber entstand Ende der 60er Jahre die - neben einem soziokulturellen Umbruch - u.a. auch das friedliche Zusammenleben propagierende Flower Power-Bewegung. Sie fungierte nicht zuletzt auch als Gegengewicht, als hoffnungsvolles Kontrastprogramm zur pessimistischen Zukunftssicht der 1960er Jahre. Für diese Entwicklung steht der weitaus positiver wirkende zweite Teil des Films.
Trotz seiner pessimistischen Thematik ist Der Omega Mann damit schlussendlich doch recht eindeutig ein Kind seiner Entstehungszeit. Am Ende steht die Hoffnung und ein weiteres Motto des legendären Rockfestivals: „Give peace a chance."
(7/10 Punkten)