Nachdem das Hollywood-Studio Universal mit „Dracula“ einen riesigen Erfolg verbuchen konnte, lag es nahe, eine weitere klassische Horror-Novelle auf die Leinwand zu bringen. Da erschien Mary W. Shelleys „Frankenstein“ eine perfekte Wahl zu sein. Man lernt aus diesem Beispiel: Hollywood-Studios waren schon immer sehr berechenbar. Dennoch wurde aus der „Frankenstein“-Verfilmung von 1931 ein Horror-Klassiker, der unzählige Filmemacher inspirieren sollte und auch etliche Fortsetzungen nach sich zog. Auch dies ist ein ungeschriebenes Gesetz des Horrorfilms, das heute bekanntermaßen mehr denn je Bestand hat.
Viele Komponenten trugen ihren Teil zu dem unglaublichen Erfolg dieses Klassikers bei. Der englische Regisseur James Whale orientierte sich bei dieser Literaturverfilmung mehr an den unzähligen Theaterstücken, die es zu „Frankenstein“ gegeben hatte, als an der literarischen Vorlage. Neben dem Mythos „Frankenstein“ erschuf er ganz nebenbei auch eine Blaupause für den populären Zweig der „mad scientist“-Filme. Dieser verrückte Wissenschaftler war natürlich Henry Frankenstein, der schön ausdrucksstark von dem Schauspieler Colin Clive dargestellt wurde. Clive war ein zutiefst nachdenklicher und trauriger Mann mit einem Alkoholproblem. Nichtsdestotrotz (oder vielleicht auch aus diesen Gründen) lieferte er eine zeitlose Darstellung ab. Frankenstein führt seine verrückten Experimente in einem Labor durch, das vor verrückten Apparaturen nur so strotzte. Blitze zuckten und große Generatoren standen im Raum. Immer noch orientieren sich Filme über verrückte Wissenschaftler an der wunderbaren Kulisse aus „Frankenstein“. Der Star des Filmes sollte sich erst nach dem Release des Films entpuppen. Darsteller Boris Karloff schrieb mit seiner Darstellung des Monsters Filmgeschichte. Eingehüllt in eine Maske, die ihrer Zeit weit voraus war, lieferte er eine unglaubliche schauspielerische Leistung. Er gab der toten Figur der Kreatur Tiefe und stellte sie differenziert dar. Frankensteins Monster ist durch diese Performance eine der tragischsten Figuren der Filmgeschichte. Nicht für ihr Schicksal als klobiges und verunstaltetes Monster verantwortlich schlurft es durch die Welt und wird überall mißverstanden. Dieses Motiv, das Karloff unter der Regie von Whale herausarbeitete prägte die meisten der unzähligen Filme, die diesem klassischen Stück Literatur Tribut zollten. Pikanterweise hatte man die Rolle vor Karloff dem damaligen „Dracula“-Star Bela Lugosi angeboten. Dieser lehnte jedoch ab, weil er sein schönes Gesicht nicht unter einer dicken Maske verstecken wollte. Zudem war die Darstellung eines tumben Monsters unter seiner Würde. Eine tragische Fehleinschätzung, die ja auch in Tim Burtons großartigem „Ed Wood“ thematisiert wird. Boris Karloff wurde nach „Frankenstein“ zu einem Star, der zwar zumeist auf die Darstellung von Monstren festgelegt wurde, was er aber akzeptierte. Ruhm bleibt eben Ruhm.
Die Ausstattung des Films war sehr aufwendig. Liebevolle und detaillierte Kulissen erweckten den literarischen Klassiker zum Leben. Auch die Inszenierung Whales ist als zeitlos zu bezeichnen. Eine ausgefeilte Bildsprache, clevere Schnitte und Einstellungen lassen dieses Meisterstück nicht altern, egal wann man es sieht. Man muß allerdings auch sagen, dass der Film für die damalige Zeit sehr provokant war. Man sah Leichen an Galgen, es wurden Gräber geschändet, ein kleines Mädchen wird umgebracht. Damit versetzte man ein Kinopublikum zu dieser Zeit in Angst und Schrecken. Insofern ging Universal mit dem Film ein Wagnis ein. Zudem nimmt „Frankenstein“ thematisch einen besonderen Stellenwert zwischen den klassichen Monstren dieser Epoche ein. Während „Dracula“, „Der Wolfsmensch“ oder auch die „Mumie“ verrückte Launen der Natur waren, die eine besonders schreckliche Bedrohung für die Menschheit bedeuteten, war Frankensteins Monster durch einen Menschen geschaffen. Der Horror auf der Leinwand beruht auf dem Tun eines Einzelnen. Die Darstellung dieser Prämisse kann als Warnung verstanden werden. Der Mensch sollte nicht an gewissen Dingen herumexperimentieren. Die Strafe folgt auf dem Fuße. Insofern spiegelt sich in diesem Stoff eine gewisse Angst vor der Moderne wider, die gerade das Publikum aus dem Jahre 1931 nachvollziehen und empfinden konnte. Nichtsdestotrotz lässt sich diese Thematik problemlos in die heutige Zeit verpflanzen: Stichwort Genforschung. Was z.B. in diesen Bereichen für Schindluder denkbar ist, wird auch den heutigen Zuschauer eine mehr als nachvollziehbare Problematik sein. Somit ist dem Film auch inhaltlich eine gewisse Zeitlosigkeit zu attestieren.
Trotz einiger Ungereimtheiten am Ende des Filmes (z.B. Woher weiß der Bauer, dass seine Tochter ermordet wurde, denn augenscheinlich ist sie ja ertrunken), ist „Frankenstein“ wegweisendes und genrebildendes Kino, das man sich zu jeder Zeit ansehen kann und kaum etwas von seiner Faszination verliert. Die Darstellung Karloffs wirkt trotz der vielen Jahre, die sie auf dem Buckel hat noch immer faszinierend. Jeder Filmfan (insbesondere Horrorfans) sollte „Frankenstein“ zumindest einmal gesehen haben!
Fazit:
9 / 10