Milos Formans erster 'amerikanischer' Film ist ein unbedingt amüsanter, zugleich aber auch kritischer und offenbarender Blick auf die Fassade des "gehobenen Mittelstands" in einem von Sinnkrisen gebeuteltem Amerika der ganz frühen 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wer für diese Ära kein Faible hat oder eher Action sucht, wird vermutlich wenig Vergnügen an dem Film finden - alle anderen (und möglicherweise sogar in dieser Zeit aufgewachsene) dürften ruhig mal reinschauen - wenn er denn mal wieder gezeigt wird ...
Die Geschichte kreist um die 'typische'(?) amerikanische Vorstadtfamilie - Lynn und Larry Tyne haben eine 15jährige Tochter, Jeannie, die plötzlich verschwunden ist - nur der Zuschauer weiß, dass sie sich auf einem Gesangs-Casting in New York (?) befindet, eine Art frühes DSDS, nur ohne Life-Übertragung - dafür vielleicht mit LSD?. Schon in diesen ersten Szenen muss sich der Zuschauer an ein wahres Schnitt-Gewitter gewöhnen, die Bilder springen hin und her, zwischen Casting, verunsicherten Eltern, Jeannie - auch beim Casting -, und einer faszinierenden Interpretation von "Let's get a little bit sentimental" mit etwa 20 - 30 unterschiedlichen Interpreten, die teilweise nur Worte, hin und wieder auch mal eine ganze Zeile zum Song beifügen dürfen, und das alles gibt tatsächlich ein anhörbares Lied! :-)
Nach der Exposition wird der Film dann aber etwas ruhiger, obwohl auch im späteren Verlauf immer wieder (sehr gelungene) Schnittfolgen zwischen den verschiedenen Ebenen der Geschichte wechseln.
Während wir von der verschollenen Jeannie im Verlauf des Filmes eher wenig erfahren (nimmt sie tatsächlich Drogen oder nicht?), entblättert sich das wohl eher unbefriedigende , aber 'sittsame' Leben ihrer Eltern um so freizügiger vor den Augen des verwunderten Zuschauers. Papa zieht mit seinem Kumpel Tony auf der Suche nach dem Töchterchen durch die Kneipen und ballert sich die Rübe mit Whisky zu, während Mama gebannt den Erzählungen von Tonys Ehefrau Margot lauscht, die mit "einem Stier" von einem Mann wohl eher geplagt als gesegnet ist und nächtens zu dessen Vergnügen auch schon mal zu Gesangs- und Tanzeinlagen genötigt wird - Mutter Lynn ist baff und weg. Zur Überraschung aller taucht das Töchterchen plötzlich wieder daheim auf, um vom volltrunkenen Vater sogleich wieder vertrieben zu werden - "sie hat was genommen?" ...
Nun erneut auf der Jagd nach seiner 'entlaufenen' Tochter, lernt Larry nach einem ziellosen Streifen durch New York Ann Lockston kennen - auch sie 'vermisst' eine Tochter, und führt Larry in den S.P.F.C. ein, einen Verein für "verlassene Eltern". Nach ein paar weiteren kleinen Verwicklungen strebt der Film nun seinen absolut gelungenen Höhepunkten zu - der Versammlung des S.P.F.C. mit dem Marihuana-Test (durch die Eltern!) - das anschließende Strip-Poker (mit den Eltern!) - und der Vorstellung von Jeannies Verlobtem. Allesamt echte Kracher, lustig, entlarvend und auch bitterböse, aber ungeeignet, hier dargelegt zu werden - das wäre verräterisch, das muss man gesehen haben ... !
Ein sehr schöner Film aus den 70ern, ein überaus gelungenes Zeitportrait, eine Perle - hoffe, das er noch mal auf DVD erscheint, aber ... ....
Nachsatz: Ach ja, außerdem gibt es während des Castings noch eine junge Carly Simon zu sehen, Kathy Bates (als Bobo Bates) in ihrem ersten Film (mit einem imho sehr schönen, selbstkomponierten Song - And even the horses had wings ...) und später noch mal Ike und Tina Turner - Live ... beautiful - und der absolute Knaller ist der Fuck-Song!!!