Die Kamera zielt direkt auf einen etwa 10 jährigen Jungen, der gerade sein Netz schließt, in dem er Krabben gefangen hat und wandelt sich in eine Totale, die den Jungen alleine auf einem riesigen Sandstrand zeigt. Er macht sich auf den Weg in das nahegelegene Dorf - Schnitt - das Objektiv fängt Details eines Ford Mustangs ein, der über eine Küstenstraße in der Bretagne rast. Der lärmende Motor wird übertönt von einer Gesangsstimme aus dem Off, die das dritte Lied aus Brahms "Vier ernsten Gesängen" vorträgt : "O Tod, wie bitter bist du..."
Immer schneller wechseln die Szenen zwischen dem Weg des Jungen durch das verwaiste Dorf und dem Ford Mustang, zwischen der Stille und dem Gesang. Details werden sichtbar, wie die eines zupackenden Armes eines Mannes ,der seine blonde Begleitung zu sich hin zieht - bis plötzlich der Junge vor der Motorhaube auftaucht und überfahren wird, woraufhin der Wagen ungebremst weiter fährt.
Plötzliche Stille - nichts als der graue Winterhimmel ist zu sehen. Dann tauchen erste Köpfe der Bewohner auf, die die Kamera von unten ansieht. Ihre Gesichter drücken Verwunderung und Unglauben aus, aber keiner reagiert oder hilft, bis plötzlich ein Mann auftaucht, der bestürzt seinen Sohn auf dem Boden liegen sieht.
Nur diese ersten drei Minuten könnten als eigenständiges Werk genügen. Chabrol drückt darin alles aus, was er dann in der weiteren Handlung seines Films verdeutlicht und durch zusätzliche Details bereichert. Es ist die Kälte und Emotionslosigkeit, die in der Darstellung dieses schrecklichen Unglücks liegt ,ein Eindruck der durch Brahms emotionale, düstere Musik noch verstärkt wird. Brahms drückt in seinen "Vier Ernsten Liedern" die Ambivalenz im Angesichts des Todes aus, die sich aus der Furcht vor dem Sterben speist, aber auch aus der Hoffnung auf Erlösung. Und genau hier beginnt Chabrols Darstellung einer Gesellschaft, bei deren Anblick man nie sicher sein kann, ob der Tod nicht doch die bessere Alternative ist...
Charles Thenier (Michel Duchaussoy) wird nach dem Tod seines Sohnes nur noch von dem Wunsch getrieben, den Mörder zu fassen und umzubringen - "Das Biest muß sterben". Die Polizei gibt schon bald ihre Suche auf, aber Charles klammert sich an die kleinsten Hinweise und sucht Schrottplätze und Werkstätten auf, um den Unfallwagen zu finden. Dabei fällt auf, daß der Kinderbuchautor kaum Trauer zeigt, sondern in seiner systematischen Suche nahezu aufgeht. Chabrol hätte daraus einen komplexen Film über die Suche nach dem Täter machen können, aber das interessiert ihn nicht und so kommt Charles schnell der Zufall zu Hilfe.
Ein Bauer erinnert sich an den Wagen, der kurz nach dem Unfall in einem Erdrutsch stecken blieb, und vor allem hat er sich das Gesicht der hübschen Begleiterin gemerkt, bei der es sich um eine aus dem Fernsehen bekannte Schauspielerin handelt. Helene Lanson (Caroline Cellier) ist eine etwas labil wirkende junge Frau, um deren Bekanntschaft sich der gutaussehende und charmante Charles sofort in Paris bemüht. Dabei nutzt er seine Kontakte als Autor und täuscht zu Beginn ein Drehbuch vor, für das er eine geeignete Darstellerin sucht. Charles hat keineswegs vor, sie zu verführen, sondern will nur mehr über sie und ihre Hintergründe erfahren, aber Chabrol beschreibt sehr genau, wie gerade seine zurückhaltende, aufmerksame Art bei ihr entsprechende Gefühle weckt und so läßt er sich auf eine Beziehung zu ihr ein.
Charles spürt eine gewisse Hilflosigkeit und auch Unschuld Helenes am Tod seines Sohnes und hegt durchaus liebevolle Gefühle für sie, aber bleibt trotzdem bestimmt von seinem Gedanken an Rache. Obwohl Helene nichts von Charles Intentionen ahnt, so spürt sie doch, daß etwas zwischen ihnen steht und so gelingt Chabrol hier eine melancholische, eigenständige Beschreibung einer Beziehung, die funktioniert und auch harmonisch ist, aber der jegliche Ausgelassenheit und Verrücktheit einer jungen Liebe abgeht. Letztlich will Charles durch sie nur an den Fahrer des Mustangs, als den er inzwischen ihren Schwager Paul Decourt (Jean Yanne) ausgemacht hat, herankommen und so begleitet er sie wieder in die Bretagne, wo ihre Schwester mit ihrem reichen Mann in einer großen Landvilla lebt.
Die dann hier folgende etwa 5-minütige Szene ist neben der Anfangssequenz der zweite Kulminationspunkt des Films. Chabrol zeigt Helene und Charles nach ihrer Ankunft im Salon mit den Verwandten und Freunden des Gastgebers Paul, der sich verspätet hat. Während die Beteiligten auf ihn warten, entspinnt sich ein Gespräch, daß an quälender Belanglosigkeit nicht zu überbieten ist. Regelmäßig wird die Konversation von lähmender Stille unterbrochen, die dann wieder von einem nichtssagenden Satz aufgehoben wird, um kurz danach wieder in eine kommunikative Leere zu verfallen. Die Ankunft des Patrons wirkt da wie eine Befreiung, obwohl oder gerade weil Chabrol "das Biest" Paul bewußt eindeutig als absoluten selbstverliebten, herrschsüchtigen und rücksichtslosen Kotzbrocken schildert.
Doch die Lähmung weicht. Wo Paul auftaucht ist Leben, denn der Mann ist grundehrlich und denkt keine Sekunde daran, auf irgendwelche Konventionen Rücksicht zu nehmen. Dadurch gelingt Chabrol eine wunderbare Ambivalenz. Obwohl ihn seine gesamte Familie (bis auf seine Mutter) hasst und er eindeutig am Tod des Jungen schuldig ist, wünscht man als Zuseher seinen Tod nicht, denn nur Paul wirkt in diesem Film authentisch und lebendig.
Gerade angesichts der Vielzahl an Filmen, die bewußt eine Stimmung erzeugen, die beim Zuschauer eine Akzeptanz der Selbstjustiz erzeugen soll, ist Chabrols Meisterschaft zu bewundern, denn er schildert eine äußerlich eindeutige Szenerie, die nicht vielfältiger sein könnte. Und er macht es dem Zuschauer nicht leicht, denn er läßt kaum eine negative Eigenschaft bei Paul aus und schildert Charles dagegen als intellektuellen, sensiblen Menschen, dessen Intentionen man durchaus nachvollziehen kann. Als Paul plötzlich an einem Abhang stolpert und nur Charles ihn retten kann (oder eben nicht), läßt uns Chabrol sekundenlang in der selben Situation überlegen, ob wir Paul retten würden...
Fazit : "Das Biest muß Sterben" zeigt Chabrols Kunst auf einem absoluten Höhepunkt. Die Komplexität, mit der Chabrol uns hier in die Tiefen der eigenen Emotionen führt, ist kaum auszuloten. Dabei ist seine Geschichte von dem Vater, der den Täter sucht, der seinen Sohn bei einem Unfall tötete, äußerlich konventionell und abwechslungsreich erzählt und kann auch mit einigen Thrillerelementen unterhalten.
Aber Chabrols wahre Meisterschaft zeigt sich im Detail und seiner fast unmerklich daher kommenden Art, Dinge, die scheinbar klar sind, unter einem ganz anderen Licht erscheinen zu lassen. An der Düsterkeit seines Werkes und dem pessimistischen Blick auf die bürgerliche Gesellschaft kann dabei kein Zweifel sein, wenn er hier den negativsten Menschen als den Lebendigsten schildert - damit stellt er diese Art des Lebens als solches in Frage und kommt zu zum Schluß an seine anfänglichen Klänge zurück : "O Tod, wie bitter bist du..." (10/10).