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Mit „Das Schweigen“ und „Die Jungfrauenquelle“ geriet der unlängst verstorbene Ingmar Bergmann heftig mit der Zensur aneinander, kritisiert wurde primär der offene Umgang mit Sexualität. Frustriert von dieser Entwicklung, macht Bergmann mit den ersten Bildern aus „Persona“ seinem Unmut Luft. Wir sehen wild aneinander montierte Bilder, unter anderem einen erigierten Penis und eine Hand, welche wie bei einer Kreuzigung von einem Nagel durchschlagen wird. Obszön und brutal beginnt der Film, und erst nach dem Vorspann kann der Zuschauer in ruhigen Bildern die Story verfolgen. Ungewohnt experimentell ist jedoch auch die Dramaturgie, religiöse Allegorien treten eher in den Hintergrund, stattdessen lotet Bergman die Möglichkeiten des Mediums Films aus.

Die psychologisch ausgefeilte Geschichte beschränkt sich wenige Schauplätze und noch weniger Darsteller. Bis auf Liv Ullman und Bibi Andersson treten nur wenige Darsteller auf, die gesamte Laufzeit fokussiert ausschließlich das Verhältnis der beiden Protagonistinnen. Liv Ullman spielt eine berühmte Bühnenschauspielerin, die inmitten einer Vorstellung zu ‚Elektra’ aufhört zu sprechen. Geistig und körperlich offenbar gesund, weigert sich die Frau auch nur ein Wort zu spreche oder ihre Verwandten zu sehen. Schwester Alma (Bibi Andersson) wird mit der Betreuung von Elisabeth Vogler beauftragt. Schon bei ihrem Einstellungsgespräch, als sie Frau Vogler kennen lernt, schwant ihr Übles und sie fühlt sich dem Auftrag zunächst nicht gewachsen. Was anfangs noch nach dem Beginn einer Freundschaft aussieht entwickelt sich schleichend hin zu purem Psychoterror.

„Persona“ lebt in erster Linie von der visuellen Ausdruckskraft, die vor allem aus dem geschickten Umgang mit den Lichtverhältnissen entsteht. Spartanisch gestaltete Kulissen vermitteln ein Gefühl innerer wie äußerer Leere, das gleiche gilt für die Außenaufnahmen. In langen Einstellungen scheint die Kamera bis in die Seele der Protagonisten zu blicken, was durch das intensive Schauspiel der Hauptdarstellerinnen aber erst ermöglicht wird. Kameramann Sven Nykvist, jahrelanger Partner Bergmans, befindet sich auf der Höhe seines Könnens, begeistert mit wunderschön ästhetisierter Belichtung. Teilweise expressionistisch anmutend, bedingt der ruhige Schnitt in Verbindung zu der penibel arrangierten Lichtsetzung die emotionalen Facetten des Films, welche von zärtlich schön bis hin zu beängstigend verstörend schwanken. Unberechenbar erscheint das impulsive Kammerspiel, immer bedrohlicher drängt sich der emotionale Konflikt auf den Zuschauer aus. Bibi Andersson leistet Großes indem sie nahezu den gesamten Film erfüllt mit ihren langen Monologen, die in totalem seelischen Exhibitionismus gipfeln, Alma entblößt sich ihrer Gesprächspartnerin so weit, dass die Grenzen ihrer Identität erschüttert werden. Dass die kalte Elisabeth ihr keinerlei Vertrauen oder Respekt entgegen bringt, merkt Alma zu spät, an diesem Punkt gibt es bereits kein Zurück mehr.

Eine Szene lässt Bergman sogar zweimal ablaufen, zwei verschiedene Kameraperspektiven ermöglichen es dem Zuschauer, jeden Atemzug und jede noch so kleine mimische Veränderung auf beiden Seiten wahr zu nehmen. Keine Nuance bleibt verborgen, geradezu quälend tief bohren sich die Bilder in das Gedächtnis. Mit voran schreitender Laufzeit verschmelzen die beiden Frauen immer tiefer ineinander um schließlich eine negative Symbiose einzugehen, was einen Höhepunkt findet in der wohl berühmtesten Szene des Films. Liv Ullman und Bibi Andersson (deren physische Ähnlichkeit den Regisseur überhaupt erst auf die Grundidee brachte) sind in Close-Ups zu sehen, während ihre Gesichter miteinander verschmelzen, beeindruckend festgehalten in einer Montage, in der aus den zwei Gesichtern ein drittes entsteht.

Ein interessanter Aspekt zum weiteren Verständnis ist die Bedeutung des Theaterstückes, indem Elisabeth offenbar beschließt, sich innerlich völlig zu verschließen. Von offensichtlichen Bezügen nimmt das Drehbuch betulich Abstand, lässt nur wenige charakterliche Gemeinsamkeiten mit der antiken Figur und seinen Protagonistinnen. Nichtsdestotrotz ist es kein Zufall, dass sich Bergman gerade diese innerlich zerrissene, zwiespältige Frau aussuchte. Wie in der antiken Vorlage besteht auch in Elisabeths Familie Unruhe – doch weit abseits der theatralisch überzeichneten Wendungen des Stückes deutet Bergman den privaten Hintergrund nur an, zeigt Elisabeths Hass auf ihren unvollkommenen Sohn, in einer Szene zerreist sie voller Bitterkeit ein Foto des Jungen.

Das Streben nach Wahrheit und eigener Identität endet für Elisabeth, die als Schauspielerin gewohnt ist Masken zu tragen und in andere Charaktere zu schlüpfen, im Zurückziehen von allen anderen Menschen. Suggestive Kameraeinstellungen sezieren das Innenleben der schweigsamen zweiten Hauptdarstellerin, brillant verkörpert von Bergmans damaliger Lebensgefährtin Liv Ullman. Eventuell bezahlt sie den Preis dafür, eine große Schauspielerin zu sein, kann nichts mehr geben und nur noch nehmen. Alle Mitmenschen, die sich ihr anvertrauen, werden ihrer Seele beraubt. Am Ende bleiben viele Fragen ungeklärt, nur angerissen und es bleibt viel Raum für unterschiedliche Deutungen.

Etliche Filmemacher ließen sich von der kraftvollen Bildsprache und der experimentellen Bildmontage in „Persona“ beeinflussen, nicht nur David Lynch zählt zu den bekennenden Verehrern des Films. Wegweisend ist auch der reduktionistische Kamerastil, der hier von Nykvist perfektioniert wurde, jede Szene ist optisch geradezu überwältigend, ohne auch nur ein einziges spektakuläres Detail zu bieten. Ästhetisch setzen Bergman und Nykvist Maßstäbe, die bis heute unerreicht bleiben, niemand sonst schaffte es schwarz-weißen Bildern eine derartig faszinierende Dynamik und innere Spannung zu verleihen.

Fazit: Selbst für Bergmans Verhältnisse ist „Persona“ ein äußerst schwer zugänglicher Film, damals wie heute. Der Film bietet ein großes Spektrum differenzierter Interpretationsmöglichkeiten, eine Annäherung gestaltet sich also auch nach wiederholtem Ansehen als Herausforderung.

9,5 / 10

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