USA, 1939: Ein junger, aufgeweckter Bursche namens Orson Welles und seine Mercury Theatergruppe versetzten mit ihrer waghalsigen Radioadaption von H.G. Wells’ Roman “Krieg der Welten” das gesamte amerikanische Volk in Angst und Schrecken. Über Nacht wurde der Name des Wunderkindes Orson Welles in ganz Amerika bekannt. Nach dem Theater und dem Radio wartete nun die nächste Herausforderung auf ihn: das Kino.
Mit einem Deal mit den RKO Studios (damals eines der Majors), der in dieser Form noch keinem Filmemacher zuvor vergönnt war und Welles die totale künstlerische Kontrolle über seinen ersten Film zusicherte, in der Tasche begannen die Vorbereitungen. Dem damals erst 25-jährigen Genie Welles, zu dem Zeitpunkt noch absolut filmunerfahren, schwebte ein außergewöhnlicher Film mit einer nicht linearen Erzählstruktur und einer revolutionären Optik vor. Inhalt: Biographie eines Zeitungsverlegers, der es zu Milliarden bringt, am Ende jedoch als einsamer Mann ohne jegliches wahre Hab und Gut zugrunde geht. Als Darsteller stand ihm seine Mercury Theatergruppe zur Verfügung, er selber schrieb, in Zusammenarbeit mit Herman J. Mankiewicz, das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. Als einziges erfahrenes Crewmitglied stand ihm der damals beste Kameramann Hollywoods, Gregg Toland, zur Seite.
Der Film beginnt mit einer symbolischen Sequenz, die die äußere Handlung des Filmes in Kurzversion zusammenfasst: die Kamera gleitet langsam über einen Zaun, der ein Schild mit der Aufschrift “No Trespassing” (Dt.: “Betreten verboten”) trägt. Nun befinden wir uns auf dem Grundstück eines riesigen Imperiums. Die Umgebung ist dunkel, düster, beängstigend. Es ist Nacht. Inmitten dieses verdorben wirkenden Landsitzes befindet sich ein Schloss. Im obersten Zimmer brennt das Licht, das auf der Leinwand jedoch nur einen winzigen Fleck einnimmt. Die Kamera zoomt nach jeweils ca. 5 Sek. - stets den Blickwinkel wechselnd - näher an das Schloss heran, behält jedoch den Lichtfleck des Zimmers immer in derselben Bildposition. Während der Zuschauer immer näher an das Schloss geführt wird, erhascht er mit jedem neuen Blickwinkel einen anderen, heruntergekommeneren Teil des Anwesens, dessen einstige Pracht mittlerweile längst verblasst ist. Im Inneren des Zimmers angekommen, wird der Zuschauer Zeuge, wie ein alter Mann (zu dem Zeitpunkt die einzige Person im Zimmer), nachdem er mit letzter Kraft das Wort “Rosebud” von den Lippen bringt, eine Schneekugel fallen lässt und anschließend entschläft.
Der weitere Verlauf des Filmes zeigt in nicht-chronologischer Reihenfolge, sondern mittels Überblendungen und Zeitsprüngen, den Werdegang des zuvor Verstorbenen, der Titelfigur Charles Foster Kane alias “Citizen Kane”. Als handlungsvorantreibende Kraft dient ein Journalist, der die Bedeutung von Kanes letztem Wort “Rosebud” in Erfahrung bringen möchte und sich zu dem Zweck mit alten Freunden und Weggefährten Kanes trifft und diese über ihn befragt.
Als Kind von den Eltern in die Obhut eines Unternehmers übergeben, baut sich Kane schon in seinen jungen Jahren ein Zeitungsunternehmen und weitet es nach und nach zum größten und mächtigsten Zeitungsimperium der USA aus. Mittlerweile der reichste Bürger Amerikas, baut er sich von seinem Vermögen ein gigantisches Reich namens “Xanadu”, geht zwei unglückliche und geschiedene Ehen ein, erleidet zudem noch finanziellen Schiffbruch und endet als alter und verlassener Mann.
“Citizen Kane” war zum Zeitpunkt seiner Kinoaufführung eine eindrucksvolle und überzeugende Parabel über den amerikanischen (Alp-)Traum. Auf erschreckende Art und Weise lüftet Welles den Vorhang, der den Begriff des hoffnungsvollen, verlockenden und Reichtum versprechenden Amerikanischen Traumes umhüllt, indem er den Zuschauern einen tiefen Einblick in das Leben des reichsten Amerikaners gestattet, wie dieser vorbildlich nach dem Geist der amerikanischen Geldmachmentalität lebt und es zu etwas bringt. Innerlich jedoch von Sorgen und Ängsten vor eigenem Versagen ergriffen, äußerlich dem Neid und der Missgunst anderer Menschen hilflos ausgeliefert, steht ihm schlussendlich ein besonders bitteres Ende bevor. Allerdings ist die Geschichte erstens rein fiktiv und zweitens aus Welles’ subjektiver Sicht erzählt, und wirft man einen Blick auf das wahre Leben der reichsten Menschen der Welt, so ist die Realität meilenweit entfernt von Welles’ Darstellung - sowohl damals als auch heute.
Eine Person jedoch empfand den Film damals nicht nur als äußerst realistisch, sondern gar als in hohem Maße beleidigend und ehrenrührig. Es handelte sich um niemand geringeren als William Randolph Hearst, DEM Zeitungstycoon Amerikas, der eindeutige Parallelen zwischen sich und der Figur des Charles Foster Kane zu erkennen glaubte und den Film verbieten lassen wollte. Welles’ bestritt den Vorwurf vehement (was wohl zweifellos gelogen war), musste sich aber dennoch gegen Hearst zur Wehr setzen. Auf der von MGM-Chef Louis B. Mayer - der auf Druck von Hearst den RKO Studios sogar anbot, gegen Erstattung der gesamten Produktionskosten die Negative des Filmes zu verbrennen - einberufenen Krisensitzung, an der alle Studiobosse teilnahmen, verteidigte Welles seinen Film erfolgreich und sorgte für dessen Kinoveröffentlichung. Hearsts Einfluss war jedoch so unermesslich groß und weitreichend, dass er Kinos im ganzen Land unter Druck setzen konnte und ihnen untersagte, den Film ins Programm zu nehmen. Seine Zeitungen starteten bundesweit eine Welles-verlästernde Anti-Kane-Kampagne und versetzten dem Film auf diese Weise einen vernichtenden Schlag. “Citizen Kane” lief letztendlich mit einer bescheidenen Anzahl an Kopien an und schnitt mit einem desaströsen Box-Office-Ergebnis ab.
Es bedurfte noch weiterer 40 Jahre sowie des Todes von Orson Welles, ehe das Publikum auf der ganzen Welt den Film und dessen Qualität und Bedeutung wert zu schätzen lernte. Obwohl Form und Inhalt in “Citizen Kane” perfekt miteinander harmonieren, ist es vor allem die Form, die herausragt und der der Film seinen heutigen Status verdankt. Während der amerikanische Traum schon zu den Stummfilmzeiten von Griffith sowie in den 30ern in etlichen Gangsterfilmen inhaltlich behandelt wurde, bot die Form “Citizen Kane”s etwas völlig Neuartiges.
Die wichtigste und herausragendste Innovation war die Perfektion der Tiefenschärfefotografie, bei der sämtliche Objekte im Bild scharf abgebildet werden. Diese Technik hatte Gregg Toland während der Arbeit an John Fords “The Long Voyage Home” angewandt und nun mit Orson Welles optimiert. Obwohl das Ergebnis überaus erstaunlich war, sagte Welles immer wieder bescheiden, er habe bloß die natürliche Sicht des menschlichen Auges mithilfe der Kamera auf der Leinwand erzeugen wollen. Ebenso bemerkenswert ist auch die Kombination von Kameraaufnahmen und Matte-Paintings, die in “Citizen Kane” spurlos ineinander fließen und in der Szene, als Kane vor riesiger Audienz eine Rede hält, mehrere Tausend Statisten ersetzen und auf diese Weise sowohl Zeit als auch Geld spart. Absolut überzeugend ist auch das Make-Up, das Welles sowohl in die Haut des 30-jährigen als auch des 60-jährigen Kanes schlüpfen und real wirken lässt.
Eine Szene, die sowohl visuell bemerkenswert ist als auch eine symbolische Bedeutung hat, ist Folgende: In der Büroszene, in der Kane kurz davor ist, seine Unterschrift auf die Bankrotterklärung zu setzen und sich dadurch den Verlust seiner Macht zuzugestehen, steht er zunächst mit zwei anderen am Tisch sitzenden Männern, Thatcher und einem Liquidator, im Vordergrund des Bildes. Dank der Tiefenschärfeaufnahme ist auch das Fenster im Hintergrund, das auf den ersten Blick völlig normal wirkt, scharf. Während der Liquidator die Erklärung vorliest, bewegt sich Kane auf das Fenster zu. In dem Augenblick, als die Erklärung fertig vorgelesen ist, steht Kane unmittelbar am Fenster, und zwar noch nicht einmal mit der Fensterbank auf Augenhöhe. Durch einen optischen Trick, der durch eine besondere Kameraperspekive erzeugt wurde, wird die tatsächliche Höhe des Fensters, das erst in einer Höhe von 2 m beginnt, erst erkennbar, als der ca. 1,85 m “große” und bankrotte Kane direkt unterhalb der Fensterbank angekommen ist und wie ein winziger, jämmerlicher, in sich zusammengeschrumpfter Zwerg wirkt. Eine ganz starke und symbolische Szene! Selbstverständlich gibt es noch zahlreiche andere hervorhebenswerte Szenen. Eine Komplettanalyse von "Citizen Kane" in Schriftform wäre wohl nur in Form einer mehrbändigen Buchreihe möglich.
“Citizen Kane” war Orson Welles’ Debütfilm und zugleich sein erster und letzter Hollywoodfilm, der in seiner Wunschfassung ins Kino kam. Das AFI hat den Film aufgrund seines enormen filmhistorischen Einflusses zum "besten amerikanischen Film aller Zeiten" gekürt. Junge Zuschauer von heute mögen darüber verwundert sein, Filmliebhaber werden jedoch einhellig übereinstimmen, dass der Film aufgrund seiner bahnbrechenden Machart diesem Titel gerecht wird. Trotz der vielen Lobeshymnen aus aller Welt sollte ein - häufig übersehener oder bewusst tolerierter - Makel nicht unerwähnt bleiben: Der Journalist möchte das Wort “Rosebud” entschlüsseln. Kane ist jedoch zum Zeitpunkt des Todeseintritts alleine im Zimmer. Demnach ist es unmöglich, dass irgendeine andere Figur Kanes letztes Wort im Sterbebett vernommen hat.