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„Citizen Kane“ ist zweifelsohne ein Wegweiser für das Kino der 40er Jahre, die aus filmischer Sicht die klassische Ära gleichzeitig abschließen und die Moderne einleiten. Quasi ein Jahrzehnt des Übergangs, in dem viele Regisseure experimentierten und dabei letztendlich Filme entstanden, die von Cineasten heutzutage als Meisterwerke gefeiert werden. Wegweisend ist Orson Welles’ „Citizen Kane“ in vielerlei Hinsicht!

Der damals 26-jährige Welles nutzte die Macht der Bilder, ließ Inhalt und Technik in einer nie zuvor da gewesenen Manier verschmelzen und ebnete so den Weg für künftige Stilrichtungen und Genres, beispielsweise des Film noir.

Die Besonderheit wird schon von Beginn an ersichtlich. Düster und skurril wirkt das riesige, antike Anwesen, mit dem der Betrachter am Anfang konfrontiert wird. Das Schild „NO TRESPASSING“ warnt uns ebenso wie eine eindringliche, musikalische Untermalung der Bilder. In der nächsten Szene erleben wir einen im Sterben liegenden, alten Mann, dessen letztes Wort „Rosebud“ ist. Nach der künstlerischen Anfangssequenz folgt eine Rückblende auf das Leben von Charles Foster Kane (Orson Welles) im Stile einer Wochenschaureportage. Der Kurzfilm umfasst die wichtigsten Stationen und Schlüsselmomente in Kanes Leben – der Aufstieg von kleinen Verhältnissen zum größten und machtvollsten Zeitungsherausgeber der vereinigten Staaten.

Dabei verschmilzt die Realität (real existierende Politiker, beispielsweise Roosevelt) mit der Fiktion des Plots. Die Eckdaten sind interessant, Kane wird ebenso geliebt wie gehasst. In wenigen Minuten werden die Ambitionen, Makel und Leidenschaften des Zeitungszaren beleuchtet. Im Telegrammstil erlebt der Betrachter technisch Hochwertiges. Mit schnellen Wischblenden und Überblenden wird ein hohes Tempo in Form von gleichzeitigen Handlungen und großen Zeitsprüngen suggeriert. Die Einleitung auf zwei Filmebenen könnte interessanter und ausgereifter nicht sein!

Schließlich endet der Kurzfilm und fünf Personen versammeln sich rund um einen Projektor. Der Redaktionsleiter ist unzufrieden, weil man 70 Jahre Leben nicht in einem Kurzfilm festhalten kann. Er will mehr als die bekannten Fakten über Charles Foster Kane wissen. Wer war er eigentlich?? Der Reporter Jerry Thompson (William Alland) wird beauftragt mehr über ihn herauszufinden. Die letzten Worte des Zeitungsmagnaten, nämlich „Rosebud“ dienen dabei als Schlüsselwort der Nachforschungen.

Nach und nach befragt Thompson nahe stehende Personen von Kane. Der filmische Nachruf wird dabei mehr oder weniger bestätigt, jede Person liefert eine Perspektive über den Medienmogul. Doch bei allen Fakten, die vermeintlich auf dem Tisch liegen, kann niemand die tiefere Bedeutung seines letzten Wortes erklären. Wen oder was könnte er mit „Rosebud“ gemeint haben!? Scheinbar sind alle Schlüsselmomente beleuchtet, aber irgendwas fehlt im Puzzle des Lebens. Was kann denn so wichtig sein, wenn man die bedeutendsten Ereignisse im interessanten Leben des Medienzaren schon kennt!?

Der Schlüssel zur Lösung liegt dabei seit Beginn des Films eigentlich auf der Hand. Der Betrachter beruft sich auf die filmische Wahrheit, die uns der Kurzfilm über das Leben vorgibt. Alle Informationen, die wir im Rahmen der Nachforschungen erfahren, werden gedanklich immer wieder mit der Einleitung in Verbindung gebracht.

Welles spielt geschickt mit der Naivität des Betrachters und weist nebenbei auf die manipulierende Wirkung von Filmbildern hin. Beeindruckend ist dabei der visionäre Charakter, denn damals zeichnete sich ein eindeutiger Trend zur Visualisierung der Nachrichtenwelt ab. Dabei verbindet der Regisseur die Aussage mit filmtechnischen Mitteln, die uns den künstlichen Charakter von Bildern vor Augen führen sollen. Der Erzählfluss wird immer wieder unterbrochen. Wells bricht die Konvention des harten, unsichtbaren Schnitts und zeigt bewusst, dass Einstellungen mit Hilfe von Schnitten verbunden bzw. getrennt werden. Die Struktur des Films wird von Welles transparent dargestellt. Harter Tobak für ein Hollywood, in dem seinerzeit mit unsichtbaren Schnitten filmtechnische Vorgänge verborgen wurden. Wie wirklich ist die Wirklichkeit!?

Medien dienen mitunter nicht zur Wahrheitsfindung, vielmehr basteln sie unter Umständen eine Wahrheit, die wir naiv als solche akzeptieren. Die verschiedenen Perspektiven über das Leben von Kane, sind letztendlich verwirrend. Fiktion und Wahrheit verschmelzen, so dass die Motive des Medienmoguls bis zuletzt schleierhaft bleiben.

Wegweisend war „Citizen Kane“ ebenso beim Spiel mit Licht und Schatten, was die Ästhetik des Films noch beeindruckender wirken lässt. Intensiv ist nicht nur das Visuelle, Welles verleiht Kane höchstpersönlich das nötige Profil, um die Besonderheit des gleichermaßen mächtigen wie dekadenten Charakters zu betonen.

Gegen Ende des Films erfährt der Betrachter, wer oder was mit „Rosebud“ gemeint war. Das Wort findet fernab von Macht und Ruhm eine Bedeutung! Niemand wusste es, weil Charles Foster Kane, auch für seine Vertrauten, ein Mysterium blieb. „Citizen Kane“ ist ein visionäres Meisterwerk über die Macht von filmischen Bildern. Die Filmwahrheit wird dabei geschickt mit der eigenen Filmtechnik hinterfragt, indem die Künstlichkeit von Bildern herausgestellt wird und filmische Operationen transparent gemacht werden. Zweifelsohne wegweisend und in der Ausführung schlichtweg atemberaubend! Ein Werk für alle Ewigkeit! Well, alright! (9,5/10)

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