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Hans Christian Andersen: neben den Gebrüdern Grimm dürfte dieser Name den Eltern der Nation am ehesten im Gedächtnis haften geblieben sein, wenn sie ihren Sprösslingen eine Gute-Nacht-Geschichte vorlasen. Mit Märchen wie Die Prinzessin auf der Erbse, Die kleine Meerjungfrau oder Die Schneekönigin schuf er unsterbliche und weit verbreitete Klassiker, die in viele Sprachen übersetzt wurden und mit Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern den wohl traurigsten Beitrag zu weihnachtlicher Festtagsstimmung, bei welchem die klimatische, äußere Kälte sich auf eine menschlich-emotionale Ebene überträgt. 1928 nahm sich Meisterregisseur Jean Renoir (Die Spielregel, 1939) zusammen mit Jean Tédesco der filmhistorisch ersten Verfilmung dieses tragischen Stoffes an.

Das Mädchen Karen (Catherine Hessling) wird im tiefsten Winter von ihrer Familie losgeschickt, um mit dem Verkauf von Schwefelhölzern etwas Geld zu verdienen. Doch niemand will die Schwefelhölzer aus ihrem Bauchladen haben, weswegen sie sich schämt, mit leeren Händen nach Hause zurück zu kehren. Am nächsten Morgen, nachdem sie die ganze Nacht auf den zugeschneiten Straßen unterwegs war und der Hunger und die Kälte sie fantasieren ließ, liegt Karen erfroren am Boden.

Untermalt wird dieses bedrückende und nachdenklich stimmende Stummfilm-Szenario von einem schwermütigen, aber nicht hoffnungslosen Akkordeonthema, welches jedoch auf Dauer etwas zu monoton wirkt. Die offensichtliche Künstlichkeit der Kulisse mutet aus heutiger Sicht auch eher unfreiwillig komisch als denn realistisch an, weswegen man nicht sagen kann, dass die Zeit an Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern in Vergleich zu den Stummfilmen von Sergej M. Eisenstein beispielsweise spurlos vorüber gegangen ist. Der Film hat also schon etwas Staub angesetzt, ist aber - meiner Meinung nach - filmhistorisch sehr interessant und relevant. Mit seiner ca. 15-minütigen Traum-Sequenz, in welche sich Karen hinein fantasiert (Spielzeug wird lebendig und der personifizierte Tod verfolgt sie final mit einem Pferd bei ihrem Ritt durch die Wolken) steht der Film seinem realistischen Grundtenor (die sozialen Probleme von Armut, Klassengesellschaft und Hunger werden thematisiert und sind Ausgangspunkt) entgegen. Man kann Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern also durchaus als epochalen Übergangsfilm vom Surrealismus der späten 20er Jahre zum Poetischen Realismus oder Vorbereiter des Poetischen Realismus beginnend im Frankreich der 30er Jahre - als dessen bedeutendster Vertreter Renoir gilt - begreifen. Oder einfach nur als eine weitgehend gelungene, wenn auch in einigen Sequenzen etwas zu gedehnt geratene Adaption eines Märchens von Hans Christian Andersen.

Fazit:
Poetisches Frühwerk von Jean Renoir, der später mit Filmen wie Die große Illusion oder Die Spielregel des französische Kino der 30er und 40er Jahre wesentlich prägte. Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern überzeugt durch sein surrealistisches Setting im Alltag, wirkt aber heute aufgrund einiger Schwächen wie der Sichtbarkeit seiner Künstlichkeit (sichtlich ältere und zudem leicht chargierende Protagonistin, unechter Schnee, Miniaturen und Modelle) etwas angestaubt. Kein ganz großer Klassiker, aber (besonders zu Weihnachten) sehenswert.

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