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"Die Schauspieler kommen !" Während sich das kleine Dorf, gelegen an der Küste einer südlichen japanischen Insel, auf die Ankunft der Künstler vorbereitet, sehen wir diese in der Hitze dösend auf dem Deck eines Schiffes. Der Meister Komajuro Arashi (Ganjiro Nakamura) ist schon etwas in die Jahre gekommen und wird begleitet von seiner weiblichen Hauptdarstellerin Sumiko (Machiko Kyô), mit der er offensichtlich ein Verhältnis hat, der jungen und hübschen Kayo (Ayako Wakao) und einigen männlichen Nebendarstellern.

Aus der heutigen Sicht kann man sich kaum einen exotischeren Ort als ein japanisches Dorf im Jahr 1959 vorstellen. Moderne Medien existieren hier noch nicht, so dass die Ankunft der Schauspieltruppe eine willkommene Abwechslung bedeutet. Regisseur Yasujiro Ozu, dessen Filme erst sehr spät außerhalb Japans gezeigt wurden, zeigt die Lebensverhältnisse in dem Dorf in fast dokumentarischer Genauigkeit. Seine Kamera blickt in die im traditionellen Stil gebauten Häuser und verdeutlicht die transparente Großzügigkeit in den engen Räumen, in denen sich die Menschen geradezu leichtfüßig bewegen. Alle sind noch in Kimonos gekleidet und tragen die hölzernen Latschen, aus denen sie selbst in Eile fast schwerelos hinein- und ausschlüpfen, wenn sie innere Bereiche eines Hauses betreten oder verlassen.

Ozu's Bildsprache ist im Gegensatz zu dem Ort, an dem er seine Geschichte ansiedelt, von frappierender Modernität und Eigenständigkeit. Dabei gelingt es ihm, seine wunderschönen farbigen Szenen immer exakt grafisch zu arrangieren und dabei doch völlig selbstverständlich, fast nebensächlich zu wirken. Das erreicht er dadurch, dass die Kamera in den Innenräumen den tiefen Blickwinkel eines knieenden Gastes einnimmt und so - außer sie schaut direkt in die Gesichter - auf jegliche Dominanz verzichtet.

Doch nicht nur der filmische Stil, sondern auch seine Erzählweise wirkt abwechslungsreich und geradezu gelöst. Fast komödiantisch sind die Szenen zu Beginn, als sich die Schauspieler im Dorf vorstellen und dabei von einer munteren Melodie begleitet werden. Während die drei männlichen Nebendarsteller ihre Werbezettel verteilen, versuchen sie alle ein hübsches Mädchen zu finden, um mit ihr anzubandeln. So erlebt man sie dabei, wie sie sich - versteckt hinter dem Bühnenvorhang - gegenseitig ihre vermeintliche Eroberung im Publikum zeigen und diese fresch miteinander vergleichen.

Auch Meister Arashi geht eigenen Interessen nach, in dem er Oyoshi (Haruko Sugimura) aufsucht, eine Frau seines Alters. Man erfährt, dass er 12 Jahre nicht mehr an diesem Ort war, und das Oyoshi seine frühere Geliebte war. Ihr Gesprächsthema dreht sich nach einer ruhigen Begrüßung sofort um Kiyoshi (Hiroshi Kawaguchi), ihren gemeinsamen Sohn. Dem jungen Mann wurde von seiner Mutter erzählt, daß sein Vater kurz nach der Geburt gestorben wäre, und er hält Arashi für seinen Onkel. Doch sie ist keineswegs glücklich mit dieser Konstellation und drängt Arashi, ihrem gemeinsamen Sohn endlich die Wahrheit zu sagen. Doch dieser weigert sich, weil er nicht möchte, dass Kiyoshi einen Vater hat, der mit einer Schauspieltruppe herumzieht.

Hier zeigen sich erste Risse in dem bisher fröhlichen Geschehen, die aber noch von dem Glück des Wiedersehens überdeckt werden. Die Art wie der sonst sehr ruhig agierende Arashi seinen inzwischen erwachsenen Sohn begrüßt und in die Arme nimmt, lässt keinen Zweifel an seiner Liebe zu ihm und man fragt sich, ob Kiyoshi das nicht durchschaut. Doch aus der Figur des Sohnes heraus, entwickelt Ozu nicht nur die weitere dramatische Handlung, sondern sie verdeutlicht auch den Umbruch, in dem sich Japan befindet. Kiyoshi ist der Einzige, der nicht mit einem Kimono bekleidet ist ,und auch seine jugendliche Art ist von einer intelligenten Respektlosigkeit. So kritisiert er das Bühnenstück als oberflächlichen Klamauk und bringt Arashi dazu, sich zu entschuldigen und dieses mit dem Zwang zum Erfolg beim durchschnittlichen Publikum zu erklären.

Trotz aller charakterlichen Eigenarten und teilweise für uns Mitteleuropäer fremdartigen Abläufe, ist es beeindruckend zu erleben, wie ähnlich wir Menschen emotional reagieren. Ozu gelingt es problemlos, uns Zuschauer in seinen Bann zu ziehen und mit den Protagonisten zu fühlen. Das von ihm geschilderte Geschehen entwickelt aus der Lebenslüge heraus eine Eigendynamik, die unweigerlich zur Explosion führen wird. Darin ähnelt er trotz seiner lakonischen Erzählweise Douglas Sirk, denn auch bei diesem entsteht immer stärker ein aus dem Inneren kommender äußerer Zwang, der den Protagonisten gar keine Wahl mehr bei ihrem Handeln lässt.

Als Arashis Geliebte Sumiko sich zu wundern beginnt, warum der Meister immer öfter abwesend ist und ihm auch der offensichtliche Misserfolg der Truppe nicht die Laune verdirbt, beginnt sie nachzuforschen. Als sie plötzlich voller Eifersucht im Haus seiner früheren Geliebten steht, beginnt die Situation zu eskalieren. Der sonst so ruhige und respektheischende Arashi schlägt gnadenlos auf sie ein und beschimpft sie als Hure. Doch so leicht lässt sich Sumiko nicht einschüchtern und ersinnt einen perfiden Plan...

Im zentralen Mittelpunkt von Ozu's Geschehen steht das Zuhause. Aber nicht nur als Raum, sondern als Ort, an dem man Halt und innere Sicherheit findet. Arashi, der sein Leben lang nur von Ort zu Ort reiste, findet in dem Sohn, der einen soliden und fleißigen Charakter hat, einen Lebensmittelpunkt, den er sonst vergeblich suchte. Hier ist auch der Anlass für Sumikos Eifersucht zu finden, denn sie spürt, dass damit ihre gegenseitige Funktion des sich innerhalb ihres wechselhaften Daseins Halt zu geben, gefährdet ist - und damit auch ihr eigenes Leben. Arashis Wut und seine extreme Reaktion zeigt wiederum, wie psychisch anfällig er ist und verdeutlicht gleichzeitig, dass seine Beziehung zu Sumiko vor allem durch ihre gegenseitige Abhängigkeit gespeist wurde. Entsprechend verzweifelt schlägt Sumiko zurück - sie will ihn zerstören, aber gleichzeitig braucht sie ihn und will ihn zurück.

Ozu zeigt hier in äußerst spannend erzählten Szenen, dass das Zusammenleben und die Wünsche des Einzelnen, vor allem durch seine eigenen Ängste geprägt sind. Nur durch Arashis Furcht, sich als Vater zu offenbaren, entsteht ein komplexes Gebilde an gegenseitigen Abhängigkeiten, aus denen es kein Entrinnen gibt. Doch Ozu bleibt seinem Stil treu, der auch immer den Blick frei macht, für Glück und Erfüllung. So ist auch die Figur der Mutter zu verstehen, die fast stoisch und ohne extreme Gefühlsregungen immer mitten im Geschehen steht. Sie verkörpert eine innere Festigkeit, die dem gesamten Geschehen eine Schwere verleiht, aus der heraus ihr Sohn beginnen kann, sich zu befreien und ein neues Denken mit anderen Werturteilen zu entwickeln. Und das Arashi letztendlich in seine Schranken verweist...

Fazit : Ozu's Film "Ukigusa" spielt zwar auf einer am Rande Japans gelegenen Insel, die 1959 noch weit von der technischen Moderne entfernt ist, aber sein Film über den heimlichen Vater, der nach 12 Jahren wieder seinen Sohn besucht, ist in seiner erzählerischen Anlage als auch seiner Bildsprache von allgemeingültiger Qualität.

Niemals kommt während des Ansehens das Gefühl auf, einen alten Film anzusehen, so sehr gelingt es Ozu ,die hier geschilderten Emotionen für den Betrachter verständlich und berührend wirken zu lassen, und dabei jederzeit unterhaltend zu bleiben. Selten habe ich einen Film gesehen, nach dessen Ende ich traurig war, den hier agierenden Menschen nicht mehr nah sein zu können - grandios, vorbildhaft und nachwirkend (10/10).

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