Der Marquis de Sade gehört zu jenen schillernden historischen Persönlichkeiten, die alleine aufgrund ihrer dämonisierten Lebensgeschichte im kollektiven Gedächtnis der Menschen bleiben, immerhin leitet sich von seinem Namen der später geprägte Begriff Sadismus ab. Schon oft haben Filmemacher von Jess Franco bis hin zu Benoit Jacquot versucht seine Werke auf die Leinwand zu bringen – wer aber die Schriften kennt, weiß wie unmöglich dieses Unterfangen ist. Nur Pier Paolo Pasolini hat es mit „Die 120 Tage von Sodom“ geschafft, Sade’s grenzenlosen Nihilismus in seinen Film zu retten, auch wenn man der Roman-Vorlage nur in gewissen Aspekten treu blieb.
Weiterhin gibt es einen Film aus dem Jahr 1989, gedreht von Henri Xhonneux in enger Zusammenarbeit mit dem Autor und Schauspieler Roland Topor, der auch für die zahlreichen Masken und das allgemeine Design des Films verantwortlich war. „Marquis“ kann man als das wichtigste und vielleicht beste Werk von beiden Filmemachern sehen, die danach nicht mehr viel heraus brachten und mittlerweile auch beide verstorben sind. Leider ist ihr gemeinsames Meisterwerk ein Geheimtipp unter Cineasten geblieben und hat bis heute keine weite Verbreitung gefunden. Kenner schätzen den Film aber als einzigartige Maskerade politischer Allegorien und Spitzen. Angesiedelt im prä-revolutionären Frankreich sitzt de Sade mal wieder in der Bastille (auch der reale Sade verbrachte ungefähr 30 Lebensjahre in verschiedenen Gefängnissen), umgeben von anderen Verbrechern, eingesperrt ebenfalls von anderen Verbrechern.
Alle Schauspieler tragen die ganze Zeit über aufwendig gestaltete Tier-Masken, wodurch der Film so surrealistisch und fremdartig wirkt wie ein Puppenspiel. Erwähnenswert ist die hohe Professionalität des Make-Ups, der Kostüme und der liebevoll detailliert gestalteten Kulissen. Natürlich passt der jeweilige Charakter zu der für ihn gewählten Tierart – doch der Einfallsreichtum der Macher ist noch lange nicht am Ende. Den Penis des Marquis lässt das Drehbuch ebenfalls eine wichtige Sprechrolle übernehmen. Was sich albern und zu schräg anhört entpuppt sich beim zuschauen als geschickt verwendetes Stilmittel, witzlose Zoten haben bei aller Schlüpfrigkeit keinen Platz. Und das in einer Story voller Sodomie, sexueller Ausbeutung und abseitigen Begierden, klingt zwar unmöglich, wird aber mit erstaunlicher Leichtigkeit gemeistert, der durchweg hohe Unterhaltungswert leidet nicht eine Sekunde an den intellektuellen Bezügen.
Schwer zu bewerten sind die darstellerischen Leistungen, da sämtliche Gesichtszüge unter den Masken verschwinden, das nuancierte Schauspiel des sichtlich begeisterten Ensembles manifestiert sich in „Marquis“ eher durch facettenreiche Stimmlagen und theatralische Gestiken. In der Handlung vermischt man Motive aus de Sades Leben sowie aus dessen Werk und obwohl der Film zu keinem Zeitpunkt ein realistisches Portrait sein will, so kommt er dem Charakter seiner Hauptfigur doch sehr nahe. Dies wird deutlich im pessimistisch gezeichneten Menschenbild, denn unterhalb der Oberfläche existieren hier keine guten oder selbstlosen Menschen. Hier entscheiden persönliche Interessen und Vorteile, kaltblütige Intrigen und gnadenlose Machtbesessenheit; ganz so wie in den Büchern von Sade lebt jeder einzelne Mensch (oder besser gesagt Charakter) nur für sich selbst und ganz allein. In den Dialogen finden sich viele Anspielungen auf die Romane „Justine & Juliette“ und auch auf „Die Philosophie im Boudoir“, manchmal muss man aber erst mal genauer hinhören, denn vordergründig weichen die gezeigten Sequenzen stark ab, sowohl von Sades Biographie als auch von den Romanen.
Fazit: Wer sich für das Werk des großartigen Marquis de Sade begeistern kann ist mit diesem Film genau richtig beraten. Im Gegensatz zu den anderen Filmen über den Marquis herrscht hier nicht biedere Langeweile vor. „Marquis“ lebt von delikatem Humor, pikanter Satire und herrlich schrägen Ideen. Dem französischen Edelmann hätte es sicher gefallen.
08 / 10
Empfehlenswert für den deutschen Kunden ist die Import-DVD aus Frankreich. Diese enthält neben der originalen Tonspur auch eine deutsche Synchronisation und ebenfalls interessante Extras. Jeder Liebhaber kurioser Underground-Filme MUSS hier einfach zugreifen, zumal die DVD auch optisch sehr schön gestaltet wurde.