Die Karriere des Michael Mann ist geprägt von Höhen und Tiefen. Mit Filmen wie dem Meisterwerk „Heat“ (1995) lieferte er einen jungen Klassiker des modernen Cop-Thrillers ab, der die beiden Kinogrößen De Niro und Pacino erstmals seit Coppolas Paten wieder auf der Leinwand vereint. Aber neben solchen Produktionen finden sich leider auch die genannten Tiefen schon auf den ersten Blick, scheinen doch Filme wie „Ali“ und „Miami Vice“ an offensichtlichen Mängeln zu kranken, die man bei einem Regisseur von Manns Kaliber nicht erwartet hätte. So freut es den Zuschauer umso mehr, dass sein 2004er „Collateral“ auf den Spuren von „Heat“ wandelt und guten Gewissens als weiteres Highlight gelten darf, welches uns erneut nach L.A. entführt.
Max, ein grundehrlicher und anständiger Taxifahrer aus L.A., erlebt die Nacht seines Lebens. Nachdem er eine junge Anwältin an ihrem Zielort abgesetzt hat, begegnet er Vincent, seinem künftigen Fahrgast. Was Max jedoch zunächst nicht ahnt: Vincent ist ein Profikiller, der noch in jener Nacht fünf Auftragsziele besuchen muss und Max zu seinem Chauffeur auserkoren hat.
Michael Mann hat mit „Collateral“ einen äußerst geradlinigen, schnörkellosen und höchst spannenden Action-Thriller geschaffen, der seine Zuschauer auf eine Adrenalin-Tour durch L.A. mitnimmt. Dabei spielt sich alles in kürzester Zeit- nämlich nur einer Nacht- ab, in der Max durch die Hölle gehen muss, um schließlich neu geboren zu werden.
Alles beginnt damit, dass der Profikiller Vincent sein Taxi betritt. Der Auftrag: Fünf Kronzeugen erledigen, die gegen seinen Arbeitgeber aussagen wollen. Keiner soll etwas merken, nicht einmal Max. Doch schon bei der ersten Zielperson läuft etwas schief: Sie knallt mit voller Wucht aus einem der oberen Stockwerke auf das Taxidach, sodass es Max langsam dämmert, wer dieser Vincent wirklich ist und was für Konsequenzen sich daraus für sein weiteres Leben ergeben. Denn die Begegnung mit Vincent ist kein Zufall- man sollte sie eher Schicksal nennen. Doch um das verstehen zu können, muss man die bis ins kleinste Detail liebevoll gezeichneten Charaktere der beiden Protagonisten näher betrachten und die augenscheinliche Geschichte des Films rund um einen Profikiller und seinen Chauffeur vergessen.
Max, so grundehrlich und anständig wie er auch sein mag, ist ein Zögerer und Zauderer. Ein Mensch, der sich Träumen hingibt, die für ihn beinahe wie Realität erscheinen oder zumindest eine Zuflucht vor dem wahren Leben bieten. Sein Ziel ist ein groß angelegter Limousinenservice für reiche Kundschaft, doch dazu fehlt ihm das nötige Kleingeld. Als Übergangslösung und um sich das nötige Startkapital zu sichern, arbeitet er deshalb als Taxifahrer. Einziger Haken: Die Übergangslösung dauert mittlerweile schon über 12 Jahre und bisher hat sich bezüglich seines Traumes absolut nichts getan. Ihm scheint der rechte Mut, Wagnisse einzugehen, zu fehlen. Genau an diesem Punkt erscheint Vincent, dessen Leben man als einziges, großes Wagnis betrachten kann. Er ist Profikiller, der sich natürlich so gut wie möglich bei seinen Jobs absichert –alles andere wäre auch nicht als wagemutig, sondern eher als dumm zu bezeichnen. Dabei bleibt er stets gelassen und setzt seine Ziele eiskalt in die Tat um, genau der Instinkt, der Max zu fehlen scheint und genau der Instinkt, den Vincent in Max wachrufen kann. Denn mit fortschreitender Zeit wird Max immer widerspenstiger gegenüber Vincents Repressalien, was schließlich in einem finalen Kampf, in dem es nicht nur um Max’ Leben, sondern auch um seine Geliebte geht, mündet. So gesehen bietet „Collateral“ weit mehr als nur zwei spannende Stunden Unterhaltung, besitzt der Thriller doch deutliche Tiefe und zudem eine interessante, ernstzunehmende Botschaft, die aber noch weiter reicht, als ein bloßer Aufruf zur Selbstverwirklichung und zum Handeln. Denn Manns Film nimmt auch Bezug zu Großstadtproblemen der Neuzeit. So lässt er Vincent über die Einsamkeit der Individuen in einem großen Ballungszentrum wie L.A. philosophieren und zeigt deutlich auf, wie stark die heutige Generation doch nebeneinanderher lebt bzw. sich eigentlich keiner um den anderen kümmert. Nur das eigene Wohl- wenn es hoch kommt noch das Wohl der näheren Angehörigen- ist von Belang. Bei allen anderen Angelegenheiten wird kategorisch ausgeblendet. Der Film kommt mit einer –bereits erwähnten- von sich aus interessanten Geschichte daher, deren besondere Qualität sich erst „herausliest“, wenn man zwischen den Zeilen sucht.
Verpackt wird das Gesamtwerk in einen für Mann bereits typischgewordenen, visuellen Stil, an dem man sich schwerlich satt sehen kann und den er sowohl ansatzweise neun Jahre zuvor in „Heat“ als auch zwei Jahre später in „Miami Vice“ zum Einsatz brachte. Es ist eine Verquickung von dokumentarischem Touch und Hochglanzoptik, der seine Filme mit einem angenehmen Realismus ausstattet und optisch trotzdem zu „Eyecandy“ macht.
Erreicht wird dieser besondere Effekt durch die grandiose Kameraführung, die oftmals leicht schwankend, lauernd und immer direkt dabei zu sein scheint. Hinzu kommen noch eine gelungene Bildkomposition und Manns offensichtlicher Faible für Vogelperspektiven, die dem Film ausgezeichnet zu Gesicht stehen.
Auf darstellerischer Ebene hat Mann einen weiteren großen Coup gelandet. Zwar sind es nicht Al Pacino und Robert De Niro, die sich hier das Leben zur Hölle machen, aber das Gespann Tom Cruise/ Jamie Foxx steht den Altmeistern aus „Heat“ in nichts nach.
Tom Cruise spielt den Auftragskiller Vincent und ist diesmal komplett gegen sein Sunnyboy-Image besetzt. Und da liegt das Geniale: Es passt trotzdem –oder vielleicht doch eher genau deswegen- perfekt. Cruise legt eine Leistung hin, die man ruhigen Gewissens als die Performance seines Lebens bezeichnen kann. Selbst Zuschauer- wie ich-, die sonst eher skeptisch gegenüber Cruise’ Talent sind, dürften sich nach den knapp zwei Stunden Spielzeit eines Besseren belehrt haben lassen. Auch sein Antagonist Jamie Foxx alias Max liefert eine bravouröse Leistung ab und wurde zu Recht für den Oscar nominiert. Er haucht seiner Figur gekonnt Leben ein und versteht es, die Veränderungen, die sein Charakter über die Zeit durchmacht, zur Geltung zu bringen- von passiv zu aktiv, von unterwürfig zu aufbegehrend.