Review

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So einfach dieser Satz einem beiläufig von den Lippen geht, so unglaublich ist der Film, in dem Richard Lester ihn als Ausgangspunkt eines tollkühnen, karikativen Diskurses über eine Gesellschaft wählt, die sich erst selbst zerstören muss, um zu ihren Wurzeln und damit ihrer Aufgabe zurückzufinden. Doch ist diese Gesellschaft dazu überhaupt noch in der Lage?

Richard Lester, der geheimste Kultregisseur der 60ziger. Heute weitgehend dem Augenlicht der Cineasten-Gemeinde entschwunden und ungerechterweise in erster Linie für Filme wie „Die drei Musketiere“ und die „Superman“-Verfilmungen (bei Teil 2 ersetzte er den weit weniger kunstfertigen Kollegen Richard Donner, Teil 3 entstand schließlich unter seiner alleinigen Kontrolle) bekannt, setzte der Amerikaner Lester in den unerschöpflichen Jahren des Umbruchs Ende der 60ziger die irrsinnigsten narrativen Rauschzustände- bevorzugt in seiner Wahlheimat England- um. Auch im Zuge der heutigen Welle an cineastischen Wiederentdeckungen (Geht den deutschen Arthouse-Kinos der Stoff aus?) hat Lester bislang nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Immer noch lastet seinen frühen Werken im Gegensatz zu seinem kommerzielleren, eher belanglosen Schaffen in den 70zigern der unangenehme Hauch des flachen Klamauks an. Wer einen geduldigen Blick wirft wird allerdings großzügig belohnt: Mit dem frühen Oeuvre des Richard Lester breitet sich vor dem Auge des aufgeschlossenen Zuschauers eines der wildesten, surrealsten und innovativsten Kapitel des europäischen Autorenfilms aus. Ohne das Lester sich als Amerikaner mit seinen teilweise auch in den Staaten realisierten Filmen sich diesem sachlich zuordnen lassen würde. Doch so ungestüm wie Lester in „How I won the war“ und „Petulia“ die amerikanische Gesellschaft und Politik und in dem hier vorliegenden „The bed sitting room“ die „Spleens“ der britischen Society verballhornt, so europäisch und humanistisch sind diese extravaganten Filme angelegt.

“The bed sitting room“ ist die Vollendung einer satirischen Endzeit-Trilogie, die Lester mit der Antikriegsfarce „How I won the war“ einleitete und mit dem desillusionierenden, bissigen Generationenportrait „Petulia“ fortführte. Und gegenüber den im Rahmen ihrer Produktionsgeschichte ohnehin schon erstaunlichen Vorgängern ist Lester hier tatsächlich noch eine Steigerung gelungen. „The bed sitting room“ ist ein Unikum der grotesken Satire, übersättigt mit bizarrster Komik, oft entsetzlich und kontinuierlich irrsinnig. Dass dem unter Lesters eigener Produktion- selbst damals wäre wohl kein Produzent der Welt zu einer derartigen Torheit bereit gewesen- realisierten Film bei seiner Uraufführung 1969 kein großer Erfolg beschieden war erstaunt nicht. Zu brachial rückte Lester dem unbedarften Publikum auf den Pelz, zu monströs waren die Szenarien, die der Regisseur jenseits seines ätzenden Frontalangriffs auf den Etikettenwahn der Briten sicherlich auch als Komik verstanden wissen wollte.

Ausgangspunkt von „Danach“ ist folgender: Nach einem 2,5-minütigen Atomkrieg leben auf der zur Gänze verwüsteten britischen Insel nur mehr 20 Menschen- die allesamt unter Gedächtnisschwund leiden und- wie’s scheint- unter akuten Mangelerscheinungen menschlicher Intelligenz und Vernunft. Da wäre einmal eine dreiköpfige Familie, die in einer immer fort durch die menschenleeren Londoner Stationen fahrenden U-Bahn lebt. Der Vater gefällt sich als ordnungstüchtiger Patriarch und Moralapostel der alten Schule, fühlt sich darüber hinaus auch zu Englands neuem Staatsoberhaupt berufen. Welch Wunder- Arthur Lowe, der ihm Profil verleiht ähnelt sicherlich nicht von ungefähr Winston Churchill. Seine Frau ist ein dummes, aber gutmütiges Huhn und folgt ihrem Herrchen Schritt auf Tritt. Die junge Tochter Penelope (Lesters Lieblingsdarstellerin Rita Tushingham) jedoch ist nicht gewillt, sich von der atomaren Generalüberholung der Welt die Freude am Leben nehmen zu lassen und trifft sich in den Nachbarwaggons mit Allan (Richard Warwick, „Sebastiane“) zu lauschigen Schäferstündchen. Durch ein unglückliches Versehen wird das illustre Quartett bald mit den Überlebenden die jenseits der U-Bahnschächte ihr lächerliches Dasein fristen, konfrontiert.

Um den Inhalt von „The bed sitting room“ wiederzugeben wäre ich genötigt, ihn detailliert nacherzählen. Da mir diese Vorgehensweise grundsätzlich missfällt und ich niemanden allzu weit auf die bevorstehende Verstrahlung vorbereiten möchte sei nur soviel erwähnt: Wenn ein Preis für den Endzeit-Film mit der ausgefallensten Apokalypse und der fröhlichsten Grundstimmung ausgeschrieben würde, er müsste zweifelsohne an „The bed sitting room“ verliehen werden. Solch grotesken, über die Grenzen des Slapstick hinaus abdriftenden und im selben Atemzug aber auch beißenden Humor in einem Film von dem man sich anhand einer oberflächlichen Inhaltsangabe eine düstere, niederschmetternde Vision erwarten würde- das allein sollte schon mehr Interesse wecken als Lesters Film bislang zuteil geworden ist. Eine Empfehlung sei dennoch nur an diejenigen ausgesprochen, die bereits das Vergnügen mit dem wunderlichen Universum des Regisseurs hatten und sich seinem schwierigen Stil gewachsen fühlen. Denn selbst Fortgeschrittene könnten hier unter Umständen entsetzt das Weite suchen denn der Exzess den sich Lester mit „Danach“ geleistet hat ist anstrengend, gänzlich geschmacksunsicher und selbst innerhalb seines Schaffens ein absurder Zenit. Bereits in seinem Erscheinungsjahr gingen lobhudelnde Kritiken mit wetternden und lärmenden Aufsätzen Hand in Hand. Hirnrissiger Nonsens oder missverstandenes Meisterwerk? Weder noch. Zumindest was England betrifft scheint es nur bezeichnend das „Danach“ zum katastrophalen Misserfolg geriet.

Denn mit spitzem Ton und ohne jegliche Rücksicht auf das oft zitierte britische Feingefühl seziert Lester die berüchtigten Eigenarten des englischen Volk mittels schon beinahe hysterischer Überspitzung. Strukturierungswahn, Höflich- und Korrektheit, manische Ordnungsliebe, Alltagsrituale wie die gepflegte Teatime und bedingungsloser Befehlsgehorsam- All diese in der zerstörten Welt von „Danach“ bedeutungslosen Normen werden von den Figuren krampfhaft aufrecht erhalten und immer wieder unter unmöglichen Umständen zelebriert. Vor diesem Hintergrund wird teilweise die gesamte Hinfälligkeit dieser Werte und insbesondere ihre über Jahrhunderte verlaufene Pervertierung offenbar. Wer schon immer einer Meinung mit Obelix war („Die spinnen, die Briten!“) wird sich hier königlich amüsieren. Treffend untermalt von beschwingter Marschmusk- die dem Zuschauer nach gut vierzig Minuten Trommelfell und Nerven zersetzt. Wie darf man sich diese Apokalypse der Geisteskrankheit nun vorstellen? Ein kleiner, grob umrissener Einblick in das verstrahlte Kuckucksnest England sei hiermit gewährt:

Großbritanniens Premier nennt sich Mrs. Ethel Shroake. Lang lebe Mrs. Ethel Shroake! Wer ist Mrs. Ethel Shroake eigentlich?
Ein Nachrichtensprecher der BBC besteht nach wie vor auf der Ausstrahlung der täglichen News und steckt seinen Kopf durch ein ausgebranntes TV-Gerät um mit routinierter Sachlichkeit von den lokalen Vorgängen zu berichten.
Die beiden letzten Polizisten sorgen sich weiterhin um Recht und Ordnung und patroullieren durch die menschenleere Mondlandschaft.
Und unsere Underground-Familie löst brav und beflissen ihre Fahrkarten- man will schließlich Ärger vermeiden.
Ein denkwürdiges Ansinnen treibt den letzten englischen Lord, Fortnum of Alamein (ernst und würdevoll inmitten das Wahnsinns: Ralph Richardson) an: Nachdem ihm jeglicher Komfort genommen wurde besteht er nun auf der Beschaffung eines „Wohnschlafzimmers“ (den titelgebenden „Bed sitting room“). Da dies aus pragmatischen Gründen eine Unmöglichkeit darstellt eilt ihm sein infantiler Geist- oder doch Mutter Natur?- zur Hilfe- und verwandeln seine Lordschaft höchstpersönlich in eine anheimelnde Räumlichkeit. Da sich die lieb gewonnenen Annehmlichkeiten nicht mehr renovieren lassen trägt man sie nach Möglichkeit gleich am eigenen Körper- auch wenn man in Folge mit einem Umfang von 20 m2 und üppiger Möblierung nicht sonderlich flexibel ist. Nobel und schwerfällig geht die Aristokratie zugrunde.
Des Lords Leibarzt (Michael Hordern) hat sich derweil zur neuerlichen Ehe entschlossen und als Opfer die langbeinige Penelope auserkoren die davon zwar wenig begeistert ist, schließlich aber nachgibt- Allan lässt sich als sexueller Dienstbote schließlich immer noch halten. Vor der wildromantischen Hochzeit auf der von giftig schillerndem Wasser umbrandeten Kuppel der Saint Paul’s Cathedral muss der begierige Onkel Doktor sich aber schließlich noch von der hurtigen Krankenschwester Arthur (hemmungslos grimassierend as usual: Marty Feldman) auf die Funktionstüchtigkeit seiner Libido prüfen lassen- eine reine Formsache, of course!

Die letzten Minuten des Films verheißen erfreuliches: Das Wasser beginnt langsam, sich zu reinigen, die ersten Pflanzen sprießen und einige Vögel überfliegen das zerstörte Land. Doch ein bitterer Beigeschmack bleibt haften. Wenn in der letzten Einstellung Penelope und Allan Hand in Hand über eine grüne Wiese springen so ist man nicht sicher ob Lester der besinnungslosen Menschheit deren Verfall bereits vor dem Atomkrieg begonnen hat, noch eine Chance einräumt. Ein Neuanfang nach der vollkommenen Zerstörung, eine „Formatierung“ oder ein Verharren in Wahnsinn und Stupidität für die Ewigkeit? Ich tendiere zu letzterem.

„Nur die surreale Karikatur kann den wahren Schrecken dieser Szenerie treffend vermitteln.“

Ähnliches soll Richard Lester über „How I won the war“ gesagt haben- „Danach“ lässt sich jedoch gleichermaßen durch diesen Grundsatz definieren. Der Schrecken von Lesters Vision zeigt in seiner grotesken Darstellung den Wahnsinn auf, der unsere Welt bereits jetzt beherrscht- nur dass diese Intention bis zum heutigen Tage den wenigsten Kritikern und Zuschauern in den Sinn gekommen ist.

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