Review

Staffel 1

Die zahlreichen modernen TV-Serien sind mit ihren hohen Produktionsstandards, starken Schauspielern und abwechslungsreichen wie innovativen Plots bekanntlich mittlerweile den Kinofilmen aus Hollywood beinahe schon ein Stück voraus, bedienen jedes Genre und jede Zuschauergruppe. So unterschiedlichen Serien wie „Nip/Tuck“, „Monk“, „Sex and The City“, „Six Feet Under“ oder auch „Die Sopranos“ bieten nicht nur beste Unterhaltung auf hohem Niveau, sie setzen auch innerhalb ihrer jeweiligen Genres ganz neue Maßstäbe – eine Entwicklung, die Anfang der 90er Jahre noch kaum abzusehen war.

Jede Folge erzählt eine abgeschlossene Geschichte, eine tiefer gehende Storyline über die gesamte Staffel findet sich hier nur in Ansätzen. In Anbetracht des schmalen Umfangs von nur neun Folgen ist das aber zu verschmerzen, vor allem da sämtliche Charaktere wirklich gut vorgestellt werden. Weiterhin ist jede Episode eingeklammert von einem Kommentar aus dem Off, in dem die Hauptperson Dr. Meredtih Grey ihre Gedanken darlegt und schließlich ein Fazit aus den erlebten Ereignissen zieht. Meredith ist die Tochter einer legendären Ärztin und dieser Ruf lässt sie bereits vom ersten Tag an auffallen. Während ihre Mutter schwer an Alzheimer erkrankt ist tritt Meredith in ihre Fußstapfen. Die Protagonisten sind Anfänger („Scrubs“) und der Zuschauer erlebt den schwierigen Werdegang zum Chirurgen.

Mit von der Partie sind unter anderem die ehrgeizige und extrem intelligente Musterschülerin Christina (Sandra Oh), der arrogante Macho Alex (Justin Chambers), die hübsche Izzy (Katherine Heigl), die sich mit modeln das Studium finanzierte. Sie und der scheue, unsichere George (T.R. Knight) ziehen schon nach kurzer Zeit als Mitbewohner in das große Haus von Meredith.
Als erfahrene Ausbilder stehen den Jungmedizinern harte aber faire Leute zur Seite, allen voran die Oberärzte Dr. Preston Burke (Isaiah Washington), Dr. Derek Shepherd und die schlagfertige Dr. Bailey (Chandra Wilson), genannt ‚Der Nazi’. Die Chemie innerhalb des Ensembles stimmt, die Konstellation genauso. Darstellerisch gibt es wahrlich nichts zu meckern, jeder erfüllt seine Anforderungen perfekt – da gereicht es zum Vorteil, dass keine Stars vor der Kamera agieren, die frische Unverbrauchtheit der Crew ist deutlich zu spüren.

Arzt-Serien gibt es ja schon länger wie Sand am Meer, aktuelles Glanzstück ist hier neben der brillanten Comedy „Scrubs“ ganz klar „Grey’s Anatomy“. Während die ebenso hoch budgetierten neuen Episoden des Genre-Klassikers „Emergency Room“ nicht mehr ganz die alte Stärke besitzen und sich mehr oder weniger nur noch (wenn auch hochklassig) selbst reproduzieren. Anders als in „E.R.“ ist „Grey’s Anatomy“ nicht geprägt von Schicksalsschlägen und schlägt einen wesentlich leichteren Ton an. Im Vordergrund stehen neben dem harten Klinik-Alltag ganz besonders das Gefühlsleben der Figuren und ihre Beziehungen untereinander. Und obwohl es keine komödiantischen Ansätze gibt, schwingt in vielen Szenen ein unterschwelliger, feiner Humor mit, der stark zum Unterhaltungswert beiträgt.

Ganz besonders überzeugend in Szene gesetzt sind die Spannungen untereinander, das Haifisch-Verhalten angehender Chirurgen. Nicht zu überspitzt und in geschliffenen Dialogen verschachtelt kristallisiert die Serie hervorragend die nötige Wettbewerbsmentalität von Chirurgen heraus, die in „Scrubs“ auch des Öfteren portraitiert wird. Dabei wirken alle Charaktere wie aus dem Leben gegriffen, werden trotz offensichtlicher Charaktereigenschaften nicht abgestempelt. Die Figuren in „Grey’s Anatomy“ verkommen nicht zu schablonenhaften Abziehbildern sondern haben alle Ecken und Kanten – das Potenzial für eine eventuelle Weiterentwicklung ist bei keinem ausgeschlossen und die Nähe zu den Gefühlen funktioniert einwandfrei.

Dramaturgisch hält man sauber die Waage zwischen leichter Unterhaltung und authentischem Realitätsanspruch, zwischendurch gibt es auch dezente Seitenhiebe gegen das amerikanische Gesundheitssystem. Ernste Momente gibt es reichlich, aufgelockert werden diese durch das spannende Verhältnis zwischen Hauptfigur Dr. Meredith Grey und dem Oberarzt Dr. Derek Shepard. Der private Hintergrund kommt überzeugend rüber und wirkt genauso authentisch wie die Krankenhaus-Sequenzen. Außerdem wartet die Serie, ähnlich wie „Nip/Tuck“ und „Dr. House“ mit komplizierten Fällen auf, deren spannende Analyse und Behandlung schon fast kriminalistisch inszeniert ist.

Überzeugend ist auch die akustische Seite der Serie, vergleichbar mit den Soundtracks von „Nip/Tuck“ oder auch „Dawson’s Creek“ und „O.C. California“ setzt man die Musik in vielen Szenen in den Vordergrund, erreicht damit teilweise einen enormen emotionalen Effekt. Die Songauswahl ist exquisit und passt immer perfekt, die breite Fächerung beinhaltet Pop, Rock aber auch mal Indie-Klänge. Atmosphärisch ist auch das Titel-Thema, das in jede Episode einleitet. Ein kleines optisches Highlight stellen die kurzen Impressionen der Millionenstadt Seattle und deren Skyline dar, die Bilder laufen oft im Zeitraffer und sind auf verschiedene Arten digital verfremdet oder mit Farbfiltern versehen. Als Verbindungsstücke zwischen einzelnen Szenen wirken diese kleinen Zusätze sehr stylisch, außerdem visualisieren sie die Schnelllebigkeit des Großstadtlebens. Wie wichtig Popmusik für die Serie ist verdeutlichen die englischen Originaltitel, allesamt bekannte Songtitel.

Das Originalkonzept ist von Shonda Rhimes, die vorher nur durch minderwertige Drehbücher auffiel, unter anderem verfasste sie das Skript zum Britney Spears-Heuler „Crossroads“. Umso überraschender erscheint es, dass der Großteil der Drehbücher von ihr geschrieben wurde – die Frau scheint mit „Grey’s Anatomy“ ihr Meisterwerk zu schaffen und setzt sich weit ab von der Qualität ihrer früheren Arbeiten. Als Produzent steht ABC wie ein Fels hinter dem Projekt und die Mühe der Beteiligten hat sich gelohnt: Dieses Jahr gab’s den Golden Globe für die Kategorie Drama und Sandra Oh gewann den Preis für ihre herausragende Leistung. Auf anderen Festivals wurde „Grey’s Anatomy“ mit diversen Auszeichnungen überhäuft, auch beim Emmy gab es etliche Nominierungen.

Fazit: Die erste Staffel macht Lust auf mehr und zeugt von hoher Qualität. Von „Grey’s Anatomy“ ist noch viel zu erwarten, auch wenn der Plot in der ersten Staffel noch recht dünn bleibt. Langweilig wird’s allerdings auch zu keinem Zeitpunkt und für sich gesehen funktioniert jede der neun Episoden ohne größere Makel. In jedem Fall ein guter Start für die Serie…

6,5 / 10

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