Review

Season 1

Eigentlich ist das amerikanische Justizsystem mittlerweile ein alter Aufguss in der Serienwelt, aber David E. Kelley schafft es immer wieder daraus frische Aromen zu destillieren. „Boston Legal“ ist dabei Rückschritt und Fortschritt zugleich, die klassische Anwaltsthematik wird neu aufgerollt und mit der alten Erfolgsformel aus „Picket Fences“ bearbeitet. Daraus resultiert die unvergleichbare und qualitativ hochwertige Drama-Humor-Harmonie. Die Weiterentwicklung verbirgt sich hinter den Figuren der Serie, denn „Boston Legal“ ist im Prinzip die Fortsetzung von „The Practice“.

Dementsprechend abrupt wird man in den Alltag der renommierten Bostoner Kanzlei Crane, Poole & Schmidt geworfen. Sukzessiv lernt man die Protagonisten, die sich selbst über Wort und Tat charakterisieren, kennen. Kelley setzt auf mehr oder weniger skurrile Charaktere, geschliffene Dialoge und den genialen Ideen im Prozessalltag des Zivil- und Strafrechts.

Alle drei Aspekte fördern den Unterhaltungswert, weil der Witz an der an sich ernsten Sache nicht zu kurz kommt. Gleichzeitig regen die Fälle aber auch zum Denken an. Flammende Plädoyers, harte Kreuzverhöre und mehr oder weniger beeindruckende Verteidigungsstrategien fördern letztendlich Humor und Dramaturgie zugleich. Anders als in „Boston Public“ und „Picket Fences“ verzichtet man in der ersten Staffel weitgehend auf die Beleuchtung des Privatlebens aller Beteiligten. Die Welt die Anwälte ist die Kanzlei, natürlich sickern private Details durch, aber grundsätzlich soll der Betrachter den Figuren über den Arbeitsalltag näher kommen.

Daraus ergeben sich aber keine Probleme, denn auch in „Boston Legal“ erlebt man großartige, facettenreiche Charakterzeichnungen bzw. Darstellungen. Wegweisend für die erste Staffel sind zweifelsohne Alan Shore (James Spader) und Denny Crane (William Shatner). Spader, der den zynisch, latent arroganten Jungstar mit einem leichten Hang zur Exzentrik brillant spielt, hat immer den herrlich lakonischen Spruch, nach dem der Betrachter giert, auf den Lippen. Sein Charisma verursacht dann mitunter auch einen Frauenverschleiß, es beginnt mit der jungen Assistenzanwältin Sally Heep (Lake Bell), später landet Shore bei der sexy-attraktiven Gehilfin Tara Wilson (Rhona Mitra). Und überhaupt wäre die ehemalige Staatsanwältin Lori Colson (Monica Potter) auch gern einmal an der Reihe.

Von dieser Beliebtheit kann Denny Crane nur mehr träumen. Der Altmeister und Mitbegründer, mit dem Shatner ein Revival erlebt, lebt von seinem Ruf und steht auf der Abschussliste. Er leidet an Alzheimer und seine Querschüsse und Aussetzer vor Gericht sind zwar humoristische Lichtblicke, aber für die Kanzlei Ruf schädigend. Dennoch hält er sich über Wasser und lässt beizeiten alte Qualitäten aufblitzen. Sein Name zieht immer noch – mehr oder weniger. Er selbst kann ihn gar nicht oft genug hören, in punkto gebündelter Kräfte durch exzentrische Selbstverliebtheit könnten Shore und Crane zusammen Brücken einstürzen lassen.

Aus diesem Zweiergespann zieht „Boston Legal“ Kraft. Den Alt- und Jungmeister verbindet Freundschaft. Beide setzen mitunter auf unkonventionelle, anrüchig geniale Mittel, die bei den anderen auf eine Art Hassliebe stoßen. Vor allem Spader bzw. Shore liebt es und nutzt es auch manchmal rhetorisch aus, über das Ziel hinauszuschießen. Konventionen sind zum brechen da – Liberalismus in extremster Form.

Crane ist dagegen die Altlast in der Kanzlei, auch er stößt deshalb auf geteilte Reaktionen. Gegen Ende der ersten Staffel zieht das Bedürfnis nach Kontrolle noch die Mitbegründerin Shirley Schmidt (Candice Bergen) nach Boston zurück. In Sachen Eloquenz steht sie den beiden Protagonisten in nichts nach, herrlich-frische Wortgefechte versüßen das ohnehin intakte Spannungsverhältnis im Mikrokosmos von Crane, Poole & eben Schmidt. Bergen spielt zweifelsohne den ebenbürtigen Gegenpol zu den beiden Hauptfiguren.

Hinter der harten Schale der meisten steckt aber auch ein weicher Kern. Der Job erfordert schon einmal Opportunismus, aber manchmal kommen die wahren Gefühle auch zum Ausdruck. Shore darf im Staffelfinale dann einer Übermacht texanischer Richter gegenüberstehen, um weniger souverän und eher emotional von der geplanten Strategie abzuweichen - aber wo er Recht hat, hat er Recht; die Bostoner New England Patriots treten den texanischen Football-Teams regelmäßig in den Arsch und Staatsmord ist absurd. Die Todesstrafe ist allerdings nur ein Thema, das die Gemüter erhitzt. Im nicht zuletzt durch Bush polarisierten Amerika spalten sich die Lager und der erzkonservative, bekennende Republikaner Crane ist dann nicht nur in der Kanzlei, sondern auch im Bundesstaat Massachusetts ein Außenseiter. Dennoch sieht man nicht nur die politische Kontroverse, der Altmeister hat genauso sympathische Seiten wie alle anderen auch.

Im Gegenzug stößt die kühle Fassade des Demokraten und Hardcore-Liberalen Shore einigen genauso sauer auf, wie die Waffenliebe von Crane. Der politischen Gegensätzlichkeit wird subtil mit Humor und Ernsthaftigkeit begegnet, wie man es von David E. Kelley gewohnt ist. „Boston Legal“ ist beeindruckend differenziert und vermeidet zumindest im Rahmen der ersten Staffel eine einseitige Überdramatisierung bzw. Hochstilisierung von politischen und gesellschaftlichen Themen.

Vor Gericht ist man dementsprechend gleichermaßen abwechslungsreich. Zivil- und Strafrecht bekommen die gleiche Zuneigung. Skurrile und ernsthafte Szenarien inbegriffen. Immer wieder wartet man gespannt, welche Verteidigungsstrategie die Anwälte benutzen. Gesetzeslücken, Richterfaibles und rhetorische Tricks stehen auf der Tagesordnung und werden akribisch durchleuchtet bzw. letztendlich ausgenutzt.

Eine Episode umfasst in der Regel mehrere Fälle, mit harten und dynamischen Schnitten wechselt man zwischen den Schauplätzen hin und her. Obwohl der Fokus auf Shore und Crane liegt, schenkt man auch den anderen Anwälten genug Aufmerksamkeit. Die in der Regel gewissenhafte und konventionelle Fraktion um Lori Colson und Brad Chase (Mark Valley) tritt zu Beginn der Season oft in Erscheinung, wobei beide mit ihrer Vorgehensweise genauso überzeugen, wie die Kanarienvögel in der Kanzlei. E. Kelley gibt keiner Seite den Vorzug und wertet nicht. Shirley Schmidt hat nach ihrem Auftreten gegen Ende der Staffel auch noch ihre Highlights vor Gericht und legt ihren eigenen Stil an den Tag. Gelungen ist auch der Auftritt von Schuldirektor Harper (Chi McBride) aus der Kelley-Serie Boston Public, als es um Zensur an Schulen geht.

Im Prinzip besinnt sich E. Kelley wieder auf seine Anwaltswurzeln und nutzt die altbewährten Erfolgsformeln, mit der er bei seinen bisherigen Serienkreationen punkten konnte. Starke Charaktere treffen auf wohldurchdachte Dialoge und Ideen, die für skurrilen Wort- und Situationswitz und subtile Dramaturgie sorgen. In diese Welt taucht man gerne ein. (9,5/10)

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