Review

Achtung! In dieser Review sind SPOILER enthalten!

Auf mich wirkt eine Perle kühl. Als Schmuckstück wirkt sie auf mich — der wenig bis nichts mit High Society und Snobismus anfangen kann — ein wenig befremdlich, abweisend und nicht unbedingt modern. Gleichzeitig jedoch ist eine Perle edel und hübsch. Sie fasziniert spätestens dann, wenn man sich mit ihrer Herkunft befasst doch noch. Sie ist selten und „eine runde Sache“.
Genau das ist für mich Match Point.

Selten hat ein Film eine solche Faszination auf mich ausgeübt. Bei Match Point handelt es sich zunächst um eine Milieustudie. Erforscht wird die High Society Londons. Gestochen scharf sprechende Dandys mit den Klischee-Bonzen-Hobbies Moorhuhnjagd, Aktien ... und Tennis.

Offenbar zeigt Woody Allen die Vorzeigekapitalisten, Glückspilze und Gewinner des Systems. Reiche und hübsche junge Menschen, die auch an der Börse mal auf die Fresse fliegen dürfen. Papi kann das Konto ja wieder ausgleichen. So verbringt eine englische Jungbonze also seine Zeit mit Sport und Kultur. Und genau hier beginnt Match Point.

Chris Wilton (J. Rhys-Meyers) beginnt in einem Londoner Edelclub Tennisunterricht zu geben. Als er zufällig in Gegenwart seines gleichaltrigen Schülers Tom Hewett (M. Goode) erwähnt, dass er ein Faible für Opern hat, nimmt sein Leben eine entscheidende Wendung. Er lernt die Familie Hewett kennen. Hierzu gehört auch Toms Schwester Chloe (E. Mortimer) mit der Chris anfängt zu flirten. Man trifft sich öfter und verliebt sich ineinander. Auch von den Eltern wird der schneidige Chris sofort akzeptiert. Er hat Manieren, steckt sich Ziele und besitzt eine Menge Potential. Dies erkennt auch Chloes Vater, der Besitzer einer optimal laufenden Firma. Chris setzt sich ins gemachte Nest und muss sich keine Sorgen mehr machen.
Doch dann erscheint Nola (S. Johansson)...

Scarlett Johansson ist eine Offenbarung. Allein ihr erster Auftritt in Match Point ist — so bündig er auch ist — genial. Aus dem Off spricht sie lediglich einen kurzen Satz aus, der einfach alles über sie und ihre Rolle in diesem Film aussagt. Sie ist die Femme Fatale, nicht jedoch im klassischen Sinne. Woody Allen schafft eine — mir zumindest — bisher unbekannte und neue Art des schicksalhaften Vamp. Sie ist die einzige Amerikanerin im Film. Sie legt — im Vergleich zu den englischen Charakteren — eine komplett andere Art des sprachlichen Ausdrucks an den Tag, was selbstverständlich auch an ihrem komplett anderen Background liegt. Nola stammt, wie Chris aus bürgerlichen Verhältnissen. Sie ist — genau so wie Jonathan Rhys-Meyers Charakter — durch Zufall in diese andere Welt geraten. Als eine erfolglose Schauspielerin lernt sie zufällig Tom auf einer Party kennen und avanciert schließlich zu dessen Verlobter. Jedoch nicht zum Wohlwollen der Eltern Hewett.

Genau dies ist der entscheidende Unterschied zwischen den Protagonisten in Woody Allens Meisterwerk. Chris bekommt sehr schnell alles, er steigt unweigerlich auf, muss sich keine Sorgen mehr machen. Nola jedoch bleibt bis zum bitteren Ende die ewige Verliererin. Tom verlässt sie. Chris, der bereits bei ihrer ersten Begegnung der leidenschaftlichen Ausstrahlung Nolas erlegen ist, beginnt eine Affäre mit ihr. Irgendwann jedoch verlangt Nola mehr von Chris, als nur dessen Geliebte zu sein. Sie wird von ihm geschwängert und verlangt von ihm die Trennung von Chloe, die er mittlerweile sogar geehelicht hat.

Nun wird aus dem Milieu studierenden Liebesdrama ein echtes Suspensedrama. Sogar der Vergleich mit Hitchcock ist durchaus angebracht.


Es gibt einiges in Match Point, das man als „bemerkenswert” bezeichnen kann. Da wäre zum Einen die musikalische Untermalung des Films. Den kompletten Film über wird außer von Schallplatte abgespielter (!) Opernmusik keinerlei andere Musik verwendet. Generell hält sich die Quantität der Musik stark zurück. Relativ selten ist sie zu hören. Um so einprägsamer und gefühlvoller wirkt sie jedoch dadurch. Gleichzeitig gelingt es Allen hierdurch eine ganz eigene Atmosphäre zu erzielen.

Die Kamerabewegungen sind sehr langsam und sanft. Besonders gut gefallen mir die Fahrten durch Nolas Appartement zum Fenster der Wohnung. Auch die ständig wiederkehrenden Portrait-Aufnahmen von Scarlett Johansson und Jonathan Rhys-Meyer hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Große Gefühle und Emotionen werden somit — gepaart mit der großen schauspielerischen Leistung — vermittelt. Ebenso die ebenfalls immer wieder gezeigten Opernbesuche der Familie Hewett sind phänomenal dargestellt. Auf engem Raum sitzen die sechs Hauptcharaktere in ihrer Loge und schauen auf die Bühne herab. Obwohl die Hewetts in diesen Momenten die Zuschauer sind, wird dem Kinobesucher die Botschaft übertragen, dass eben diese Personen das Grundgerüst einer — im positivsten Sinne — Seifenoper sind. Das mehr als dezente Licht in diesen Szenen unterstützt die allgemeine Stimmung des Films: Lug, Betrug, Verrat und Gefahr.

Die Kulisse Londons wird ebenfalls toll in Szene gesetzt. Nicht nur die Aussicht aus Chloes und Chris Luxusappartement an der Themse ist großartig.
Die Farben und die Bildbearbeitung in Match Point erinnern ebenfalls an alte Hitchcock-Klassiker. Nicht zuletzt die Gestaltung des Vor- und Abspanns unterstreichen Allens Absicht, mit Match Point eine kleine Hommage an frühere Klassiker zu setzen.

Die Schauspieler sind — allen voran Scarlett Johansson und Jonathan Rhys-Meyers — nahezu perfekt. Johansson vermittelt eine Sinnlichkeit und eine erotische Ausstrahlung, wie ich sie seit Faye Dunnaway in Bonnie und Clyde nicht mehr gesehen habe. Rhys-Meyers ist für mich die Neuentdeckung schlechthin in Match Point. Optisch erinnert er mich stark an eine Mischung aus Jude Law und Christian Bale. So hat Rhys-Meyers auf der einen Seite die fast schon künstlich wirkende Schönheit des Jude Law, auf der anderen Seite jedoch auch die bedrohlich seltsame Ausstrahlung von Christian Bale. Spätestens dann, wenn Chris seine zwei Morde begeht, erinnert er mich — auch durch die Wahl seiner Kleidung: der schwarze Anzug, die Lederhandschuhe — an Bale in American Psycho. Die Schlusspointe unterstreicht meiner Meinung nach diesen Vergleich zusätzlich.
Genial finde ich auch die Dialoge in Match Point. Theaterhaft („theatralisch” ist zu negativ belegt) werden wohl durchdachte Sätze ausgesprochen, die — wohl auch dem Milieu entsprechend — zwar extrem affektiert (oder eben doch „theatralisch“) wirken, jedoch von einer Ästhetik herrühren, die mich zu dem wohl ziemlich dämlich wirkenden Vergleich mit „Shakespeare im Jahre 2005“ hinreißen lassen. Allen lässt seine Charaktere Sätze sagen, die so doppeldeutig sind und solch einen subtilen (und oft auch schwarzen) Humor beinhalten, dass es eine wahre Freude ist, sie zu hören. Ich empfinde sie auch deshalb als theaterhaft, da sie oftmals vorangegangene Szenen kommentieren, was natürlich für die entsprechenden Charaktere, die diese Sätze äußern auf Grund von Unwissenheit ohne jede Doppeldeutigkeit ist. Für den Zuschauer jedoch ist dies extrem belustigend. Als Beispiel möchte ich hier die Szene nennen, in der Chris den Ring von Nolas Nachbarin in die Themse werfen will, dieser jedoch vom Geländer abprallt und somit nicht im Fluss landet. In der darauffolgenden Szene spricht einer der ermittelnden Polizeibeamten von „Beweisen, die [ihnen] nicht vor die Füße rollen werden.“ Köstlich.

Das Tempo des Films ist sicherlich Geschmacksache. Für einen wie mich — der Filme mit langsamem Erzähltempo à la Spiel mir das Lied vom Tod oder Filme mit eher langsamem Spannungsaufbau à la Vertigo liebt — stellt der schleichende Spannungsaufbau jedoch kein Problem dar. Ganz im Gegenteil. Match Point entspannt trotz unsympathischen Milieus sogar!
Und vielleicht liegt genau hierin die scheinbar unerklärliche Faszination von Match Point. Die Tatsache, dass Woody Allen dem mittelschichtigen Durchschnittsbürger eine Welt präsentiert, die ihm entweder unbekannt oder unbeliebt ist, er sich jedoch trotzdem für sie erwärmen, ja sogar begeistern kann.

Stellt sich meiner Meinung nach nur noch die Frage nach der Aussage des Films. In der einzigen Szene die jenseits der Realität spielt denke ich lässt sich eine Aussage finden: die — ich nenne sie einfach einmal — Traumsequenz, in der sich Chris mit der toten Nola und der toten Nachbarin unterhält. Gehen wir einmal davon aus, dass es sich bei diesem Traum um Chris‘ Traum und nicht um den Traum des ermittelnden Polizisten handelt. In dieser Szene erklärt Chris, dass er auf seinem Weg nach oben, bzw. bei seinem Kampf um die Erhaltung seines Lebensstils keine Rücksicht nehmen kann, dass Kollateralschäden in Kauf genommen werden müssen. Hiervon ausgehend ist Match Point eine bittersüße Abrechnung mit dem Egoismus und der Unmenschlichkeit der Reichen und Mächtigen, die ohne Rücksicht auf Verluste Unschuldige als Opfer in Kauf nehmen. Eine klare Kritik am Kapitalismus. Einem System, in dem weniger Können, als viel mehr Einfluss, Schicksal und Zufall über Glück und Unglück, Auf- und Abstieg und letzten Endes über die Brandmarkung als Gewinner oder Verlierer entscheiden. Dass Chris am Ende auch noch durch den „nach hinten fallenden Ball“ (den Ring) das „Match“ nicht verliert, sondern somit sogar seine „Unschuld“ bewiesen wird, unterstreicht diese These.
„Eine verrückte Welt.“ konstatiert einer der Polizisten am Ende des Films. Ja, so viel Zufall und Glück haben in dieser Welt wirklich meistens nur die, die es absolut nicht verdient haben oder es zumindest nicht nötig haben.

Eine vermutlich noch nie da gewesene Schlusspointe, die 100%ig ins Schwarze trifft. Dieser Ball ging eindeutig über das Netz:

Spiel, Satz und Sieg: Woody Allen.

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