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Wunderschön zeigt sich der nahende Herbst im malerischen Vermont, wenige sauber getünchte Villen stehen in der Landschaft und verheissen ruhige bürgerliche Existenzen. Dazu ertönt eine tänzerisch-folkloristische Musik, die einen kleinen Jungen, der eine futuristische Spielzeugpistole bei sich trägt, bei seinem Weg in den Wald begleitet. Als plötzlich Schüsse zu hören sind, geht der 6-jährige Arnie in Deckung und nachdem er sich wieder aufrappelte, steht er plötzlich vor einer Leiche. Erschreckt rennt er davon...

Dabei handelt es sich um eine sehr gepflegt angezogene Leiche, die nur eine kleine Wunde an der Stirn aufweist, und in angemessener Haltung auf dem Rasen liegt - von schönstem spätsommerlichen Sonnenschein beschienen. So erstaunt es auch nicht, dass der pensionierte Captain Albert Weiss (Edmund Gwenn) beim Anblick des Toten kaum irritiert ist, ausser über die Tatsache, dass er befürchtet, einer seiner fehlgeleiteten Schüsse, die er bei seiner Jagd nach einem Kaninchen abfeuerte, hätte den ihm unbekannten Mann auf dem Gewissen. Doch anstatt dieses Unglück der Polizei anzuzeigen, versucht er ihn lieber in einem Gebüsch zu verstecken.

Dumm nur, dass ständig irgendwelche Personen ausgerechnet an dieser einsamen Lichtung auftauchen und ihn in seinem Tuen unterbrechen - ein Landstreicher, der dem Toten die Schuhe klaut, ein Bücher lesender Doktor, der die Leiche gar nicht bemerkt, der junge Künstler Sam Marlowe (John Forsythe), der sofort ein Porträt malt und nicht zuletzt Miss Gravely (Mildred Natwick), ein ältliches Mauerblümchen, dass ausgerechnet in dem Moment kommt, als der alte Captain die Leiche bei den Füssen gepackt hat. Doch anstatt laut aufzuschreien, entwickelt sich zwischen den Beiden ein Flirt, der in einer Einladung zu Blaubeer-Muffins mündet.

Hitchcock hatte sich schon längere Zeit das Drehbuch gesichert und forderte von der Paramount, nachdem er zuvor zwei sehr erfolgreiche Filme ("Das Fenster zum Hof", "Über den Dächern von Nizza") gedreht hatte, ihn den Film dazu machen zu lassen. Obwohl sie sehr skeptisch waren, produzierten sie den Film. Wirtschaftlich gesehen muss man der Paramount heute zugestehen, dass ihre Prognose richtig war, denn der Film fiel beim Publikum durch. Künstlerisch wäre es aber ein Verlust gewesen, denn selten nahm sich Hitchcock so viel Zeit, so genau die Psyche seiner immerhin vier Protagonisten nur an Hand der untereinander geführten Gespräche auszuleuchten.

"Immer Ärger mit Harry" hat sich bis heute den schon damals entstandenen Ruf bewahrt, nicht so recht in Hitchcocks Oeuvre zu passen. Dabei sollte man sich fragen, warum er schon so lange Interesse an diesem Stoff hatte, denn bei genauer Betrachtung ist diese Geschichte um Harry ein fast kammerspielartiger Blick in die menschliche Psyche und damit ist man sofort bei Hitchcocks Lieblingsthema. Er selbst nannte den Film einmal "seinen englischsten amerikanischen Film", was schon daran zu erkennen ist, dass den vier Hauptdarstellern, die alle ein Interesse daran haben, Harry's Leiche möglichst unauffällig beseitigen zu lassen, seine Sympathien gehören, während der übereifrige und misstraurische Dorf-Sheriff am schlechtesten wegkommt.

Obwohl der äußere Rahmen immer "sophisticated" bleibt, leistet sich Hitchcock unter diesem Deckmäntelchen eine Vielzahl auch frivoler Anspielungen (hierfür ist die Originalversion der deutlich harmloseren Synchronfassung vorzuziehen), die allein schon daran zu erkennen sind, dass neben dem ständigen Ver- und Ausgraben des Toten zwei Paare innerhalb eines Tages zueinander finden. Shirley MacLaine als junge Witwe Jennifer Rogers und Mutter des kleinen Arnie, ist dabei von freundlichster und süssester Unbestimmtheit, denn Hitchcock hat im Grunde kein Interesse daran, die tatsächlichen Hintergründe vollständig aufzuklären.

So war Jennifer mit Harry verheiratet und die Begründung dafür, wirkt ziemlich konstruiert. Zuerst erwähnt sie ihren ersten Mann und Vater von Arnie, der ausgerechnet während ihrer Schwangerschaft starb, weswegen Harry - bei dem es sich um den älteren Bruder des Verstorbenen handelt - sie geheiratet hätte. Sie verliert kein Wort über die Art des Todes ihres ersten Mannes, wohl aber darüber, dass seine Versicherung für das schöne Häuschen in Vermont gereicht hätte. Solche kleinen Anekdoten bietet Hitchcocks Film mehrfach und sie werden so unterschwellig serviert, dass sie kaum auffallen.

Harry wird von den Protagonisten in ein sehr negatives Bild gerückt, dass sich aus Vergewaltigungsvorwürfen von Miss Gravely und dem "Im-Stich-Lassen" in der zweiten Hochzeitsnacht von Jennifer zusammensetzt (Sams gerechtfertigte Frage nach der "ersten Hochzeitsnacht" wird geflissentlich überhört). Diese Aussagen werden von Hitchcock in keinster Weise hinterfragt, wie er fast perfide jede mögliche Polizeiarbeit, die Informationen von anderer Seite erbringen könnte, unterbindet.

Oft wurde dem Skript Unlogik vorgeworfen und die Verhaltensweisen der vier Hauptdarsteller als nicht nachvollziehbar gescholten. Dabei liegt gerade darin die Genialität des Films, denn Hitchcock gelingt es hier, uns auf die Seite von Menschen zu ziehen und ihnen wohlwollend bei ihrem ungesetzlichen Treiben zuzusehen, obwohl er die wichtigsten Regeln des Kriminalfilms nicht einhält. Betrachtet man eine klassische Crime-Story, so geht sie fast immer von einem von Außen betrachtet merkwürdigen oder zumindest schwer begreifbaren Geschehen aus, welches im weiteren Verlauf dann aufgeklärt wird. Doch in "Ärger mit Harry" erklärt Hitchcock nichts und serviert uns stattdessen zum Schluss eine Lösung, die uns Zuschauer befriedigt aufatmen lässt, obwohl sie in keinster Weise vermitteln kann, warum sich die Protagonisten zuvor so wie hier geschildert verhalten haben.

Fazit : "Immer Ärger mit Harry" als schwarze Komödie anzusehen, ist viel zu oberflächlich und wird diesem grossartigen Film nicht gerecht, denn Hitchcock bleibt hier nicht nur bei seinem Lieblingsthema - dem Abgrund der menschlichen Seele - sondern trickst den Zuschauer und seine Erwartungshaltung geschickt aus.

Gerade dadurch, dass er dem Film optisch und in seiner geradelinigen Erzählweise (sehr schön die tiefen Einschnitte zwischen einzelnen Szenen), einen sehr überschauberen Charakter gibt, bemerkt man dessen unterschwellige Beeinflussung nicht. Denn in "Immer Ärger mit Harry" wird sehr viel angedeutet, sehr viel aus subjektiver Sicht erzählt, aber nichts wirklich aufgeklärt oder objektiv bestätigt, ausser vielleicht der Grund für Harry's Tod !?

Der Zuschauer verlässt den Film irritiert, aber mit eindeutiger Sympathie für die beiden neuen Paare, obwohl alles irgendwie diffus bleibt. "Immer Ärger mit Harry" ist tatsächlich ein Ausnahmewerk, aber nicht in seiner Thematik, sondern in seiner Konsequenz, übliche Regeln nicht einzuhalten - und damit ist er "Vertigo" und "Psycho" näher ,als die meisten vermuten (9/10).

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