Review

„Der neue Film von Eli Roth“

Als ich diesen Satz allerorten lesen musste, wunderte ich mich schon ein wenig.
Sollte das als Gütesiegel gelten? Nach nur einem kompletten Spielfilm und ein paar Kurzfilmen? Bei einem Regisseur, dessen Name außer in eingefleischtesten Fanlagern niemand aufhorchen lässt? Und obendrein noch bei einer Thematik, die sowieso nicht jedermanns Sache ist? Okay, die Rettung fiel der Marketingabteilung dann förmlich in den Schoß, denn Quentin Tarantino himself outete sich als Roth-Fan und produzierte dessen zweiten Streich „Hostel“ gleich mit.
An dieser Stelle muss ich mich wieder einmal über Tarantinos Adlerblick wundern, der auch in scheinbar trivialsten Abgründen noch Potential erspäht. „Cabin Fever“ ist für mich einfach filmischer Magerquark. Nun ja, Onkel Quentin konnte man bis jetzt immer rückhaltlos vertrauen, also gab ich mir einen Ruck und hievte meinen Hintern in den Kinosessel, als „Hostel“ nach scheinbar unendlich langem Vorab-Blabla endlich in deutschen Kinos lief.

Verdammt, war das heftig. Verdammt, bin ICH heftig.

Die Handlung selbst ist Terror- und Revengemovie-Standard. Unachtsame junge Menschen geraten fiesen Gestalten in die Hände, werden gründlichst bis auf einen sole survivor dezimiert, welcher dann auf breiter Basis Rache nimmt. So weit, so bekannt.
Einer der Jungs ist der Witzbold, während ein anderer künstlerische Ambitionen hat und ein Buch über seine Erfahrungen schreiben möchte. Die letzte Szene des Films, in welcher dieser Junge sein Buch abschließt, schon vor Augen, lehnen wir uns gemütlich zurück.
Nun geht „Hostel“ aber schon einiges anders an als vergleichbare Filme. Man könnte den Film aufgrund seiner noch-nicht-erwachsenen-Hauptdarsteller in die Nähe des Teenieslashers rücken, aber zwei Faktoren stören dieses Bild erheblich.
Erstens machen die Protagonisten solcher Filme einen tödlichen Fehler nach dem anderen (arrogant-überzogenes Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen, immer schön die Polizei aus dem Spiel lassen, Treppen bei Verfolgung rauflaufen, man kennt es ja), während Roths Figuren schlicht und ergreifend keine Chance haben. Sie wollen ein wenig Spaß, sie geraten an die falschen Leute, sie sind so gut wie tot. Kein Killer, mit dem man 2-Kilometer-Haschmich spielen kann, sondern eine eiskalt durchorganisierte Gruppe, aus deren Fängen es kein Entkommen gibt. Und als es doch einem der Protagonisten gelingt, fiebert man umso mehr mit ihm. Roth konfrontiert uns mit dem Gefühl wirklichen Ausgeliefertseins.
Und das bringt uns zum zweiten entscheidenden Unterschied, dem Mörder/den Mördern.
Grundvoraussetzung eines amtlichen Slashers ist es, einen Killer zu präsentieren, der außerhalb der Gesellschaft steht. Ob nun Kindermörder Freddy Krueger, der degeneriert-vernachlässigte Jason Voorhees oder die verseuchten Wüstenbewohner aus „The Hills have Eyes“: Immer schlagen in Slashern die Randfiguren des alltäglichen Lebens zu, um den zivilisierten Bürger durch die Hölle zu jagen. Niemand hat das besser gezeigt als Tobe Hooper mit seinem Kettensägenmassaker, bei dem arbeitslose, überflüssig gewordene Fleischfabrik-Arbeiter in ihrer heimischen Einöde den Spieß umdrehten und den Konsumenten zum Produkt machten. Das Slasher-Genre spielt mit der schlummernden Angst vor der Rache der Ausgestoßenen, die wir nur noch aus dem Augenwinkel der Gesellschaft wahrnehmen. Und was macht nun „Hostel“? Seine Killer sind keine Backwoodhillbillies, keine unsterblichen Manifestationen des Bösen, nein, seine Killer SIND die Gesellschaft. Reiche Leute, die sich aus einer Mischung aus Langeweile und purem Sadismus in einem pervertierten Club verlustieren, unter der Maxime: Töten für Geld.

Töten für Geld. Das muss man erstmal schlucken. Klingt irgendwie konkreter als verstrahlte Mutanten. Klingt nach trauriger Wahrheit. Nach Alltag.

Und jetzt setzt Roth an. Ausgiebig verweilt er mit uns in düsteren Kellern und in der Gesellschaft von Menschen, für die man nur Verachtung empfinden kann. Sie verstümmeln, sie quälen, sie töten. Und hier blendet Roth meistens sogar aus, reißt die Kamera zur Seite, lässt nur die Tonspur sprechen. Unsere Phantasie erledigt den Rest. Stellenweise genügt es schon, wenn ein Folterknecht scheinbar ewig vor dem Gesicht eines Hauptdarstellers eine große Schere auf- und zuschnippen lässt. Immer näher kommt er dem Gesicht… man will gar nicht hinsehen. Oder die verhängnisvolle Wirkung eines kurzen, heftigen Schnitts in die Achillesferse… die Folterknechte können in der persönlichen Werteskala gar nicht tiefer sinken…

Und dann kommt unser Held frei.

Zum Glück liegt eine Pistole griffbereit. Kopfschuss, erledigt. Ausgiebig von der Kamera eingefangen. Hier könnte sich jetzt eine kleine Stimme des Widerstands in einem regen, die bemängelt, wie sehr man sich schon an Schusswaffen im Kino gewöhnt hat. Kleiner Skalpellschnitt, verflucht, wie grausam, aber Kopfschuss, okay, put him down for good.
Aber diese Stimme hört man nicht, denn man ist gerade mitten in einer adrenalingeladenen Flucht, da ist jedes Mittel recht.

Ich könnte diese Flucht noch ausführlich schildern, die mit Befreiung einer Mitgefangenen, Auto- und Zugunfällen, mörderischen Kindern sowie einer seltsam unecht wirkenden Verwundungsprothese (hier siegte wohl das niedrige Budget) einiges bietet, aber ich muss ja mal zum Punkt kommen.

Der Held bekommt seine Rache. Der Zuschauer bekommt seine Rache. Wir haben mitgelitten. Deshalb räumt uns der Film jetzt auch das Recht eines genauen Blicks ein. Denn unser Hauptdarsteller erweist sich in Folterfragen als ebenso kundig wie seine Peiniger. Und diesmal hält die Kamera voll drauf. Weil es unvermeidlich ist. Man wollte diese Unmenschen leiden sehen, und nun sieht man sie leiden. Weiß der Film von dieser Tatsache?
Diese Frage beantwortet sich wenige Minuten später von selbst. Die Rache ist vollzogen, der Held steigt in den Zug, Schwarzblende, Abspann.
Keine beruhigende „die-ganze-Organisation-wurde-zerschlagen“-Texttafel, kein „ein-Jahr-danach“-Konstrukt, nichts. Einfach Schluss.
Der Film macht so abrupt Halt, dass man sich wie der Besucher eines Sexkinos fühlt, in dem plötzlich das Licht eingeschaltet wird. Aha, deshalb warst du hier, und, war´s schön, Trieb befriedigt, okay, jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst. Roth zeigt uns einen fetten Stinkefinger, verzichtet auf jedwede Schlussmoralisierung und lässt uns mit uns selbst allein. Mit unseren Werten, die wir anhand des Treibens der Foltergemeinschaft gefestigt sahen, im Rausch der Stilmittel des Rachekinos aber gepflegt über Bord geworfen haben. Die Gewalt war durch alles und durch nichts zu begründen. Zuerst war sie willkürlich ausgeübt worden, dann als wie-du-mir-so-ich-dir-Strafe geheiligt. Ganz schön harter Tobak.

Man kann nun lange darüber diskutieren, ob dieser Film ein Kind seiner Zeit ist, ob Roth hier seinen Landsleuten und ihren Abu-Ghraib-Traumata ein Ventil schafft oder ihnen den Spiegel vorhält, ob er nur das traurige Ende eines zu immer härteren Mitteln greifenden Thrillertrends ist, und wie viel persönliche Bezugnahme den Film erst wirken lässt,
unterm Strich bleibt ein in sich zutiefst geschlossener, absolut erschreckend konsequenter Rachethriller, der einem (leider) zu denken geben sollte.

Nicht blutige Details oder erzählerische Einfälle machen diesen Film aus, sondern die eigene Beteiligung. Wer keine Angst davor hat, vor sich selbst zu erschrecken, sollte im „Hostel“ einchecken.

(8.5/10)

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