"Denn sie wissen nicht, was sie tun" - doch während James Dean in den 50er Jahren noch aus der gepflegten Vorortsiedlung ausbrechen wollte und nach einem Sinn im Leben suchte, haben es sich die Jugendlichen von heute in den gemachten Nestern ihrer Eltern gemütlich gemacht. Ob die hier beschriebene Story einen realen Hintergrund hat oder nicht, spielt letztendlich keine Rolle, denn die gezeigten Auswirkungen sind logische Konsequenz einer Entwicklung, die immer stärker das oberflächliche kurze Vergnügen einer intensiven tiefgreifenderen Beschäftigung vorzieht.
"Alpha Dog" spielt nicht in den sogenannten Problemvierteln, sondern in einer der riesigen fast nur aus Villen bestehenden Vorortsiedlungen. Urbanes Leben findet hier nicht statt und Nick Cassavettes verzichtet auch auf die Darstellung von öffentlichen Institutionen - fast sämtliches Geschehen findet in Wohnungen und Häusern statt.
Dabei wirken die Kumpels aus Johnnys (Emile Hirsch) Clique wie Homies aus den Stadtbezirken, nur stellt sich schnell heraus, daß es sich dabei nur um Imitate handelt. Die hier benutzten Symbole, die sich an der Sprache ,der Musik und den vielen Tattoos äußerlich zeigen, werden ohne innere Einstellung oder gar Ideologie verwendet. Selbst Jake (Ben Foster) ,der sich als Neo-Nazi mit entsprechenden provokativen Symbolen tätowiert hat ,zeigt keinerlei tatsächliche politische Haltung. Auch hier geht es letztendlich nur um eine Provokation und Außendarstellung - in seinem Fall in Verbindung mit Aggressivität und Gewalttätigkeit.
Betrachtet man die Elterngeneration, denen Cassavetes zwar nicht viel Screentime gibt, die aber in ihren kurzen Momenten eine beeindruckende Performance geben von Menschen, die es einerseits wirtschaftlich geschafft haben, andererseits aber selbst noch versuchen, ihre eigene Jugend weiter zu leben, so wird der Ausgangspunkt der hier beschriebenen Situation deutlich. Es handelt sich um ein klassisches Problem des heutigen Generationskonfliktes, daß den Jugendlichen kaum noch ermöglicht, sich von den Eltern abzugrenzen, da sich diese selbst noch wie Jugendliche benehmen. So ist es auch nicht erstaunlich, daß Johnnys Dealer-Tätigkeit von seinem Vater (Bruce Willis) abhängig ist, den er vor jedem Geschäft um eine Lieferung bitten muß. Ähnlich geartet ist auch Frankie Ballenbachers (Justin Timberlake) Beziehung zu seinem Vater. Er hält ihn zwar für cool und ist auch nicht erstaunt, als er seinen Vater mit zwei jungen Frauen beim Sex antrifft, aber gleichzeitig ist dieser auch ein knallharter Geschäftsmann, der am nächsten Morgen wieder zur Arbeit geht, während Sohnemann noch im Bett rumhängt. So ist Frankie nur der Dienstbote, der Papas Hanfstauden wartet, damit er weiter in dessen Luxus-Villa wohnen darf.
Die gesamte Dealerei mit den Drogen hat in "Alpha Dog" auch keine überlebenswichtige materielle Funktion, sondern ist einfach Zeitvertreib. So taucht in Cassavetes Film auch keine gefährliche Gang auf, sondern alles läuft im Grunde intern ab, auf eher kleinkrimineller Ebene. Als es zwischen den sonst gut zusammenarbeitenden Dealern Johnny und Jake zum Streit kommt, geht es um keine große Summen. Aufgepuscht durch die ständige auf cool machende Laberei, Drogen und Alkohol, kommt es zum Streit, der die Gewaltspirale hochdreht. Als Jake Johnny am Telefon bedroht, nimmt dieser als Gegenaktion die Gelegenheit war, Jakes kleinen Bruder Zack zu entführen, der ihm zufällig über den Weg läuft...
Wer die hier dargestellte Welt der Jugendlichen, die sich ausschließlich mit Alkohol, Drogen, Computerspielen und Sex vergnügen, verführerisch findet, muß recht einfach gestrickt sein. Cassavetes zeigt sehr deutlich, wie unsicher, ängstlich, linkisch und im Endeffekt ohne tatsächliche Freude daran sämtliche Protagonisten agieren. Das in dieser Lebensform auch ein Faszinosum liegt, ist völlig klar ,aber genauso deutlich wird, daß die ständige Beschäftigung damit, völlig unbefriedigend ist. Zack lebt noch als behüteter 15jähriger bei seinen Eltern (sehr gut Sharon Stone als seine Mutter), die ihn mit ihrer Sorgfalt erdrücken. Für ihn ist diese Welt der "Coolness" noch etwas Neues und als er durch die Entführung plötzlich mitten in diese Szene eintaucht, ist er natürlich begeistert.
Doch gerade in der Konfrontation zu seiner noch kindlich wirkenden Figur, die eine naive Freude ausstrahlt, erkennt man wie klischeehaft und weit entfernt von eigenen individuellen Bedürfnissen die Anderen agieren. Gerade die hier verwendeten Klischees werden Cassavetes häufig vorgeworfen, dabei zeigt er deutlich, daß diese selbstgewählt sind. Frankie und seine Freunde verlieren kurz ihre Contenance im Anblick des glücklichen Jungen und zeigen weichere Züge. In diesen Momenten erkennt man, wie jung und selbst noch unreif sie sind, doch die Beeinflussung und der äußere Druck der selbstgewählten Gesellschaft ist so stark, daß sie aus ihren eigenen Klischees nicht mehr ausbrechen können. Cassevetes zeigt gerade in den langen Party-Sequenzen mehr als deutlich, wie wenig dieses Leben glücklich macht. Und das ausgerechnet die einzige Figur, die so etwas wie Glück empfindet, hier geopfert wird, zeigt ,wie pervertiert diese Situation schon ist.
Dabei gelingt Cassavetes ein komplexes Bild aus einer Elterngeneration, die keine Zeit für ihre Kinder hat und ihr nur das alles zur Verfügung stellt, was sie selbst benutzt. Aus einer Jugend, die sich nur an Klischees orientiert, die sie aus Kino, Fernsehen und sonstigen Medien kennt und die sie hohl und ohne Selbstreflexion übernimmt. Aus dem Teufelskreis gegenseitiger Erwartungshaltung und der Jagd nach dem äußerlichen Erfolg (auch hier sind wieder wie zuletzt in Scorseses "Departed" sehr stark die homophoben Tendenzen zu erkennen) kommen sie nicht heraus. Aber Cassavetes bezieht auch den Staat mit ein, der nicht zuletzt durch seine überzogene Rechtsprechung zu dem Unglück beiträgt. Als Frankie zurecht fragt, warum er dafür bestraft werden soll, daß er Zack quasi zu jeder Party mitnimmt, wird ihm ein knallhartes Bild juristischer Konsequenzen vor Augen geführt. Auch der Staat kommt aus seinem Teufelskreis der immer stärker anziehenden Bestrafungsspirale nicht mehr heraus.
Fazit : Beeindruckendes Dokument einer verlorenen Jugend, die Opfer ihrer eigenen Oberflächlichkeit wird. Als aus einer fast spielerischen Drogendealerei plötzlich ernst wird, kann keiner der Protagonisten die entstehende Spirale zurückdrehen, obwohl sie sich dabei die gesamte Zeit wie große Kinder verhalten.
Cassavetes zeigt in langen Sequenzen deren Partyvergnügungen, Drogenkicks und "coolen" Labereien. Aber gerade in dieser Ausführlichkeit seziert er subtil die dahinter steckende Leere und fehlende Individualität ,ohne dabei auch nur eine Sekunde den moralischen Zeigefinder herauszuholen. Diese Art der Darstellung - gerade auch mit dem begeisterten jungen Zack ,dem in "Alpha Dog" als Einzigem etwas Glück zuteil wird - ist eine schmale Gratwanderung und birgt natürlich auch die Gefahr in sich, verharmlosend oder verführerisch zu wirken.
Doch dieser Vorwurf ist meiner Meinung nach falsch, weil er viele Details außer acht läßt, die immer wieder verdeutlichen, wie unsicher und wie in der klischeehaften Vorstellung von sich selbst gefangen, der Einzelne ist. Gerade dadurch, daß Cassevetes die immer gleichen Tätigkeiten bis zum Nerven wiederholt, macht er deren Idiotie besonders deutlich und die damit verbundene Sinnlosigkeit (8/10).