Casanova – Sein Name ist Legende. Er steht für den klassischen Verführungskünstler, den Frauenhelden alter Schule und ist international als Synonym für diese Attribute bekannt. Eben dieser Giacomo Casanova war ein Lebemann wie er im Buche steht doch auch ein kultivierter, hochintelligenter und geistreicher Schriftsteller. Seine umfangreichen Memoiren, die beinahe sein gesamtes Werk ausmachen, sind in ihrer literarischen Klasse weltweit anerkannt und beliebt, besitzen darüber hinaus einen wichtigen Platz in der Geschichte erotischer Literatur. Wer die Memoiren liest entdeckt schnell, dass es sich bei Casanova um einen freigeistigen Denker handelt, dessen Denkanstöße vielerlei Facetten bieten – sei es kultureller, politischer oder philosophischer Natur. Viele Filme wurden über das Leben Casanovas geschaffen, in denen er oftmals romantisiert dargestellt wurde und man kaum die Komplexität seines Lebens nachempfinden konnte. Kein Wunder, eine so schillernde und charakterstarke Figur ist wie geschaffen für die Leinwand.
1976 nahm sich der große Federico Fellini des Stoffes an und gerade der Maestro des italienischen Kinos verpasst die Gelegenheit, die historische Figur so widersprüchlich zu begreifen wie es fraglos notwendig ist um Casanova gerecht zu werden. Doch der Reihe nach. Zunächst einmal wundert schon die Auswahl des Hauptdarstellers: Statt seinen Lieblingsschauspieler und Alter Ego Marcello Mastroianni zu besetzen verpflichtete Fellini den Amerikaner Donald Sutherland. Fraglos ein talentierter Charakterdarsteller doch Mastroianni hätte sich schon aufgrund seines eigentümlichen Charismas und seiner exzentrischen Persönlichkeit perfekt angeboten, nicht zuletzt aufgrund unübersehbarer charakterlicher Parallelen zu Casanova. Jedenfalls erschien Sutherland voller Eifer und angeeignetem Vorwissen zum Dreh, der für ihn jedoch zur Tortur geriet. Fellini ordnete ihm an, alles gelernte zu vergessen und erlaubte keine interpretatorische Freiheit – Sutherland musste täglich stundenlang in die Maske und wurde zusätzlich von der diktatorischen Regieführung Fellinis zum Wahnsinn getrieben. Dennoch verkörpert Sutherland Casanova mit einem eigentümlichen Stolz – für das aristokratische Aussehen wurde seine Nase verlängert und seine Stirn extrem erhöht. Wie auch bei den anderen Darstellern wird aber erst durch die perfekte Arbeit der Visagisten der optische Eindruck komplettiert.
„Casanova“ ist ein großer, opulenter Film mit Hang zum Größenwahn geworden. Eine fast unüberschaubare Zahl von Kulissen und Schauplätzen, ein riesiges Schauspielerensemble und eine gigantische Vielfalt authentischer Kostüme lassen das Projekt zu Fellinis bis dato teuersten Film anwachsen. Dabei hangelt sich das Drehbuch an einem dünnen Faden entlang durch eine episodische Struktur und verzichtet auf einen konventionellen Plot. Die zahlreichen Erotikszenen erscheinen in ihrer Ermangelung an Sensibilität kalt und mechanisch, ganz so wie das Gesellschaftsbild, dass Fellini hier entwirft. Casanovas Welt ist eine moralisch verrottete und in ihrer Dekadenz schon lange entgleiste, der große Verführer dagegen ist innerlich ein einsames Kind geblieben – unfähig zu lieben, was sich im Verlauf der Handlung deutlich heraus stellt. Eine endgültig fellineske Prägung erhält der Film durch seinen betont überstilisierten Kitsch, der die Atmosphäre endgültig ins Unwirkliche herab gleiten lässt und den Zuschauer in eine künstliche Welt entführt. Weil Fellini Außenaufnahmen des Meeres zu ‚echt’ erschienen ließ er eine große Plastikplane aufspannen, die mit geschickter Beleuchtung und den geworfenen Wellen wie ein gemaltes, ästhetisiertes Meer erscheint – mehr wie eine Vorstellung vom Meer als eine Abbildung der Realität, der sich Fellini auch hier in einigen Sequenzen schlichtweg entzieht. Die teuren Nachbauten der vielen Originalschauplätze verschlang Unmengen Zeit und Geld, letztlich zog sich die Drehzeit über zwei Jahre hin und geriet für beinahe alle Beteiligten zur Kraftprobe.
In teils, aggressiven teils aber auch tristen Farben kreiert Fellini ein pessimistisches Sittenbild, dessen inhaltliche Nähe zum Klassiker „La Dolce Vita“ unverkennbar ist. Doch während Fellini den meisten seiner Filme einen deutlich subjektiven Blickwinkel verlieh, so bleibt Casanovas Innenleben unerschlossen. So wird die rauschhafte Ausstattung eher zum wichtigsten Faktor als etwa Hauptdarsteller Sutherland. In Kombination mit Nino Rotas hypnotischem Score bleiben viele kraftvolle Bilder in Erinnerung nur leider keine emotionale Vertiefung des Stoffes. Casanova ist anfangs ein Taugenichts und ist es auch am Ende – er endet einsam und verbittert und der extreme Close-Up von Sutherlands gepeinigten, immer noch gierigen Augen und die anschließende, trostlose Einstellung von ihm an der Seite einer Puppe, umrahmt vom schweigenden Meer im Hintergrund. All seine Exzessen und Eroberungen haben Casanova innerlich ausgebrannt zurück gelassen und ihm kein Glück gebracht.
Fazit: Bei aller visuellen Anmut bleibt „Casanova“ ein anstrengender Film ohne Seele, ein starres Kunstprodukt. Fellini fand keinen Zugang zur historischen Figur, die für ihn stets ein liederlicher Nichtsnutz gewesen ist und so bleibt das opulente Kostümwerk sein wohl unpersönlichster Film. Trotz großer Schauspieler, fantastischem Produktionsdesign und kraftvoller Bildgestaltung ist ein emotionaler Zugang zu einem solch kühlen Kunstwerk beinahe unmöglich. Dennoch ein weit überdurchschnittliches Werk eines begabten Filmemachers dem leider die Liebe seiner sonstigen Produktionen fehlt.
07 / 10
Vielleicht liegt der Misserfolg des Films auch in der einfachen Tatsache begründet, dass Fellini nie mit direkten Vorlagen umgehen konnte und sich schon nach kurzer Recherche gelangweilt fühlte von den Memoiren Casanovas. So hat Fellinis Film wenig bis nichts mit der historischen Figur gemein – der Titel „Fellinis Casanova“ ist also bezeichnend.