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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Pollets unbequemer Kurzfilmklassiker

Stichwörter: 1970er Dokumentarfilm Essayfilm Frankreich Jubiläum Klassiker Kurzfilm Pollet


L'ordre (1974)
Jean-Daniel Pollet ist ein Name, der weitgehend in Vergessenheit geraten ist bzw. nur noch eingefleischten Hardcore-Cineast(inn)en etwas sagt. Vertraut ist er dann erst einmal, weil er mit dem jungen Volker Schlöndorff "Méditerranée" (1963) hervorgebracht hatte; und weil er mit Claude Chabrol, Jean-Luc Godard, Éric Rohmer, Jean Rouch und (dem noch noch im Vergleich mit Pollet weniger bekannten) Jean Douchet den Omnibusfilm "Paris vu par…" (1965) hervorgebracht hatte. Wer Guy de Maupassant schätzt, dürfte auch noch über Pollets "Le Horla" (1966) gestolpert sein. Wenn mann Pollet aber erst einmal auf dem Schirm hat, dann stellt man fest, das sein kleines Meisterwerk der 1974 veröffentlichte Kurzfilm "L'ordre" ist. Gut 10 Jahre nach Forugh Farrokhzads "Khaneh siah ast" (1963) blickt Pollet auf die Leprakranken, die mit ihren Symptomen sowohl den Blick auf sich ziehen als auch vielfach eine teils verstörte, teils beschämte Abwendung des Blicks hervorrufen. Sowenig wie Farrokhzad schlachtet aber auch Pollet die Lepra und die Leprakranken aus: Der Voyeurismus, das Mitleid, die Abscheu: das wird sogar von einem Erkrankten thematisiert und zurückgewiesen, wenn er über frühere Erfahrungen mit fotografischen bzw. filmischen Aufnahmen berichtet. In "L'ordre" geht es wie so oft bei Pollet vor allem um Orte: hier um Spinalonga, die vor 120 Jahren (und 70 Jahre vor Pollets Film) gegründete Leprakolonie, die schon in Lila Kourkoulakous Drama "To Nisi tis Siopis" (1957) thematisiert worden war. Die Leprakolonie allerdings, wohin man Erkrankte zum Schutz aller anderen und unter Aberkennung etlicher Rechte und Ansprüche sowie bei möglichst klein gehaltener Stimmgewalt ab 1904 verbannte, wurde Ende der 50er Jahren geschlossen; die über Jahrzehnte isolierten Personen fanden sich daraufhin in einer isolierte Lepra-Station in der Nähe Athens wieder, dort allerdings nicht einmal mehr als Herren ihrer selbst: um, wie es im Film heißt, auf die Rückkehr ins öffentliche Leben vorbereitet zu werden, in welches sie aber kaum noch gelangen konnten. Eine neue Form der Gefangenschaft, die durch die teils klaustrophobischen Bilder in "L'ordre" noch unterstrichen wird. Der lange Zeit selbst wie ein Aussätziger behandelte Kurzfilmklassiker, der einen so bestürzt wie ratlos zurücklässt, liegt seit rund fünf Jahren als Teil der Jean-Daniel Pollet Collection bei La Traverse auf DVD vor.



Kommentare und Diskussionen

  1. PierrotLeFou sagt:

    Zum 13. Mal dient hierzulande der kürzeste Tag im Jahr wieder als Kurzfilmtag.

    Und weil das Kurzfilm-Format so unterrepräsentiert ist, sei es auch hier einmal mit einem kleinen Bonus-Titel gewürdigt (ehe es morgen wieder mit einem Advents-Bonus-Titel weitergeht) …

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