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von ratz

Vor 50 Jahren: Ein vollendeter Kubrick

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Barry Lyndon (1975)

Der notorisch perfektionistische Stanley Kubrick bereitete jedes seiner Filmprojekte jahr(zehnt)elang vor, überwachte bei den ausufernden Dreharbeiten jeden einzelnen Aspekt und brauchte dann Monate für eine finale Schnittfassung. Man kann nur erahnen, wie schwer es dem Meisterregisseur gefallen sein muß, die Kontrolle abzugeben, wenn die fertigen Kopien schließlich in die Kinos gelangten. Nachdem sein neuestes Historienepos „Barry Lyndon“ am 11. Dezember 1975 in London Premiere gefeiert hatte, lag beim regulären Kinostart jeder Vorführkopie ein Schreiben Kubricks an die Filmvorführer bei, das die Qualität des vorliegenden Films betonte und sie eindringlich ermahnte, bei der Projektion äußerste Sorgfalt walten zu lassen.

Tatsächlich rechtfertigt die visuelle Pracht von „Barry Lyndon“ Kubricks Bedenken: die aufwendigen Kostüme, die an klassische Gemälde angelehnten Bildkompositionen, der auffällige Einsatz des Zooms oder die berühmten Aufnahmen bei Kerzenschein mit einem NASA-Objektiv haben Filmgeschichte geschrieben. Darüber geriet die satirische Schilderung des Aufstiegs und Niedergangs des Titelhelden bzw. Antihelden im England des 18. Jahrhunderts beinahe ins Hintertreffen, obwohl sie ein mindestens ebenso großes Vergnügen bereitet. Die 1844 erschienene Romanvorlage “The Luck of Barry Lyndon” stammt von William Makepiece Thackeray, neben Charles Dickens einem der meistgelesenen Autoren im viktorianischen England und heute vor allem für „Vanity Fair“ bekannt. Thackerays Ich-Erzähler ersetzt Kubrick durch einen Off-Sprecher, der mit sanftem Spott das ausladende Gesellschaftsbild des englischen und europäischen Adels kommentiert. Kubrick bleibt in der Schilderung der Charaktere kühl und distanziert, Psychologisierung interessiert ihn nicht, und doch schafft es Hauptdarsteller Ryan O'Neil, trotz stoischer Miene allein seine Blicke Bände sprechen zu lassen. Dieser törichte Barry ist nie Herr seiner Geschicke, sondern Spielball der ihn umgebenden Mächte und schillernden Figuren, die ihren Reichtum und ihre Ehrbegriffe in opulenten, jedoch leeren Ritualen zelebrieren. Diese langen, teils statischen Szenen bilden eine Reihe von Tableaus, die nicht zufällig an den Besuch einer Gemäldegalerie erinnern – die Reaktion des Publikums war gespalten, sicher hatte es mit einem zügigeren Tempo noch wie in „Clockwork Orange“ (1971, Anniversary-Text) gerechnet.

Kubricks Filme waren auch nach seinem Tod in besten Händen: Leon Vitali, der Barrys verhaßten Stiefsohn Lord Bullingdon spielt, sollte nach diesem Film seine Schauspielkarriere aufgeben und Kubricks persönlicher Assistent werden. Ganz im Sinne des Filmemachers verwaltete Vitali das filmische Erbe und sorgte persönlich dafür, daß bei Wiederaufführungen die Filmvorführer genauestens instruiert wurden. Auch bei der Restaurierung von „Barry Lyndon“ war Vitali involviert, das Ergebnis läßt sich auf der neuesten 4K-Blu-ray von Warner bewundern, die rechtzeitig zum Jubiläum des Klassikers erschienen ist.







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