The Abominable Dr. Phibes (1971)
Ein Arzt, der für ein angebliches früheres Vergehen sechs Minuten Zeit hat, um seinem Sohn einen in Herznähe eingeplanzten Schlüssel zwecks Öffnung seiner Fesseln zu entfernen, ehe dessen Schädel von einer Säuredusche zerfressen wird? Das klingt, natürlich, extrem nach der trotz aller Schwächen noch immer nicht abgeebbten "Saw"-Reihe, ist aber Höhepunkt eines wesentlich älteren Vertreters des "Kreative Morde"-Horrorfilms. Die Rede ist von "The Abominable Dr. Phibes", jener am 18. Mai 1971 uraufgeführten Horrorkomödie, die nicht bloß das Highlight in der Karriere des Horrorfilm- und TV-Serien-Routiniers Robert Fuest darstellt, sondern auch der Karriere des Hauptdarstellers Vincent Price noch einmal neue Impulse verlieh: Wie in "Pit and the Pendulum" (1961) aus seinem legendären Poe-Zyklus oder wie in "Tower of London" (1962) darf er hier grausam morden, stilisiert jedoch den Mord geistreich ausgeübt zur schönen Kunst, die in Serie zelebriert wird, um Rache an einer ganzen Gruppe zu nehmen, die nach dem Prinzip von Agatha Christies "Ten Little Niggers" (1939) ihr Leben lassen – allerdings durch die Hand eines sehr wohl bekannten Täters, bei dem lediglich die Motivation für eine (eher kurze) Weile geheim bleibt. In Kontext der Fortsetzung "Dr. Phibes Rises Again" (1972), eines nicht zustandegekommenen dritten Teils und des weitgehend analog aufgezogenen, aber wesentlich schwärzeren "Theatre of Blood" (1973) sollte Price diese Rolle gewissermaßen wiederholen, die er in "Madhouse" (1974) dann noch einmal ironisch kommentieren und zu Grabe tragen konnte.
Dieser Rollentypus, der Prices ausklingende Karriere als Horrorstar in den 70er Jahren einleiten sollte, lebt von schwarzem Humor, kultiviertem Auftreten, bildungsbürgerlichen Schablonen für die Mordtaten und großer Kreativität bei deren Umsetzung. Dr. Price, seit einem Unfall über einen geradezu totenkopfartigen Schädel verfügend, den er mit großem Aufwand als gewöhnliches (Vincent-Price-)Gesicht tarnt, will sich in einer Kunstwelt zwischen goldenen 20er-Jahre-Jugendstilzeiten und psychedelischem 70er-Jahre-Camp an jenen rächen, die zur tödlich misslungen Operation seiner geliebten Gattin beigetragen haben. Nach Vorbild der zehn biblischen Plagen geht er – unterstützt von der stets schweigenden, bildschönen Helferin Vulnavia (Virginia North) – gegen neun Angehörige des Ärzteteams vor, um sich letztlich selbst zu seiner toten Gattin in den Sarg zu legen. Die Verbrechen, die er in seiner Jugendstil- & Art-Deco-Villa zwischen mechanischem Orchester und illuminierter Orgel plant, zeichnen sich durch abwegige Übersteigerungen bis hin zur Absurdität aus: Nicht bloß werden die Opfer (darunter Joseph Cotten und Terry-Thomas) von ins Schlafgemach geschmuggelten Fledermäusen ausgesaugt oder im Cockpit eines Privatfliegers von Ratten attackiert, selbst Heuschrecken fallen über eine Krankenschwester her und lassen vom Schädel nur noch Haut und Knochen übrig. Eine permanent zu spät kommende Polizei (allen voran Peter Jeffrey als Detective Trout) sorgt für einen passenden Kontext des britischen Humors: als die Polizisten einen vom Horn eines Bronze-Einhorns durchbohrten Arzt von der Tür abnehmen wollen, an den es ihn genagelt hat, drehen sie den Leichnam gleich mit, als die das Horn aus der Wand schrauben... Und Vincent Price, der nur noch über ein Grammophon sprechen kann, das er mit einem künstlichen Eingang am Hals verbindet, feiert die Toten, indem er sich mit ehrwürdiger Geste den einen oder anderen Wein in die Seitenöffnung am Hals kippt. Affektiertheit und Kultiviertheit, britische Zurückhaltung und pathetisches Orgelspiel, Humor und Sadismus: die Mixtur ist hochgradig eigenwillig und auch in den ohnehin recht schrillen, extravaganten 70er Jahren keinesfalls alltäglich. Zugleich aber geriet sie nicht bloß richtungsweisend für Prices Karriere, sondern nahm generell die kreativen Morde vorweg, die über die "Omen"-Reihe bis zur "Final Destination"-Reihe sowie über den Slasher- und Serienkillerfilm bis zu den "Saw"- oder "Escape Room"-Reihen präsent geblieben sind. Vorläufer wie "Horrors of the Black Museum" (1959) – dessen Star Michael Gough nach dem Dr.-Phibes-Rummel in "Horror Hospital" (1973) noch einmal ähnliche Gefilde betrat – gab es zwar immer wieder einmal, aber die entsprechenden Filme mit Vincent Price lösten erstmals eine kleine Welle aus, die ein eigenständiges Subgenre anzukündigen schien.
Seit rund fünf Jahren liegt der kleine Klassiker im deutschsprachigen Raum auch auf Blu-ray vor: Fassungseintrag von Freddy Krueger