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von PierrotLeFou

Vor 100 Jahren: Blick aus Russland auf die USA und den Blick aus den USA auf Russland

Stichwörter: 1920er Jubiläum Khokhlova Klassiker Komödie Kuleshov Parodie Russland Satire Spielfilm Stummfilm UdSSR

Neobychainye priklyucheniya mistera Vesta v strane bolshevikov (1924)

Nach seinem in Amerika angesiedelten Debütfilm "Proekt inzhenera Prayta" (1918) und vor seiner Jack-London-Verfilmung "Po zakonu" (1926) blickte Lev Kuleshov, der heute vor allem als Namensgeber des Kuleshov-Effekts bekannt ist, auch mit seinem noch heute wohl bekanntesten Film nach Amerika: Der am 27. April 1924 uraufgeführte "Neobychainye priklyucheniya mistera Vesta v strane bolshevikov" lässt Porfiri Podobed als Harold-Lloyd-Lookalike in die Rolle des Mr. West schlüpfen, der als Karikatur eines US-Patrioten mit allen Vorurteilen auf die Bolschewisten blickt und samt eines Cowboy-Leibwächters in die Sowjetunion reist ... wo er als Opfer seiner eigenen Vorurteile flugs auch zum Opfer einer kriminellen Bande wird, zu welcher auch eine von Aleksandra Khokhlova gespielte Gräfin gehört: eine frühe Zusammenarbeit von Kuleshov und seiner Ehefrau, die vor allem in "Po zakonu" brillieren sollte. Und obgleich die satirische Stummfilmkomödie sowohl US-amerikanische Gepflogenheiten als Zerrbild der Lächerlichkeit preisgibt und zugleich auch den US-amerikanischen Blick auf die Sowjetunion zum Gegenstand des Gelächters macht, blieb der Film in der eigenen Heimat keinesfalls unumstritten: die verspielte Form, die split screen, Überblendungen, Schattenspiele (die es Kuleshob ganz besonders angetan haben dürften, sah er doch den Film explizit als Licht-Kunst), Groß- und Nahaufnahmen sowie Anlehnungen an den Hollywood-Film enthielt, zog sich auch den Vorwurf des Formalismus ein; die Ironie paaste ohnehin nicht so recht ins Bild: Auch ein Amerikanismus sollte als Vorwurf ins Spiel kommen. Mit westlicherem Blick dürfte man eher einen ironisch gebrochenen, parodistischen Antiamerikanismus am Werk sehen. Dass Kuleshov hier so sehr ein Zerrbild der Sowjetunion verspottet, um dann später seinerseits im Stalinismus mancherlei Unbill zu erleiden und seine Regiekarriere nicht wie gewünscht fortsetzen zu können, ist eine kleine ironische Fußnote zu "Neobychainye priklyucheniya mistera Vesta v strane bolshevikov".


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