The Pillow Book (1996)
Wie nur wenige zeitgenössische Autorenfilmer versteht es Peter Greenaway, sich mit seinen zahlreichen Film-, Fernseh- und Installationswerken zugleich treu zu bleiben als auch die Grenzen der audiovisuellen Repräsentation stets neu auszutesten und zu verschieben. Auch sein Film „The Pillow Book“, der 12. Mai 1996 beim Filmfestival in Cannes vorgestellt wurde, ist ein hochintelligentes und formal anspruchsvolles, zugleich durchaus unterhaltsames Gedankenspiel geworden, das bekannte und neue Aspekte in sich vereint.
Ausgangspunkt für „The Pillow Book“ ist ein Artefakt des asiatischen Kulturraums, nämlich das Kopfkissenbuch der japanischen Hofdame Sei Shōnagon aus dem 10. Jahrhundert. Dieses Pillow Book dient dem erfolgreichen Fashion-Model Nagiko (Vivian Wu) als Leitfaden, ihren sexuellen Fetisch des Beschriebenwerdens auf der nackten Haut zu verfolgen und einen idealen Liebhaber zu finden. Die daraus entwickelte Geschichte um Erotik, Verrat und Grausamkeit hält drei Zeitebenen in der Balance – die historische Heian-Periode, Nagikos Kindheit und die Gegenwart der 1990er Jahre – und gibt Greenaway die Gelegenheit, ausführlich mit den gestalterischen Möglichkeiten des Kino-Bildformates zu spielen. Das Split-Screen-Nebeneinander und -Ineinander, die Überlagerungen und Überblendungen von bis zu fünf Bildinhalten innerhalb des traditionellen Academy-Formates wird als reizvolle Variante der klassischen Montage etabliert und vermittelt die Gleichzeitigkeit der postmodernen Existenz in den großen Metropolen. Ermöglicht wurde das komplexe Compositing (das heute ubiquitär wirkt, Mitte der 90er jedoch langwierig und teuer war) durch die gerade beginnende Digitalisierung der Bildmanipulation, Greenaway hatte damit bereits in „Pospero’s Books“ (1991, Anniversary-Text) experimentiert und verfolgt diesen Weg bis heute konsequent weiter. Daß „The Pillow Book“ nicht zur akademischen Fingerübung über Text, Körper und Kalligraphie geworden ist, verdankt sich Schauspielern wie Ewan McGregor und Yoshi Oida, den traditionellen japanischen Kostümen, dem sinnlichen Vergnügen von kalligraphischen Verzierungen auf nackter Haut und natürlich der Fähigkeit Greenaways, seine hochkulturellen Sujets mit provokativem Witz und teils derber Erotik zu würzen.
Für den Hausgebrauch kann sich der Filmfreund zwischen der günstigen, inzwischen vom Label FilmConfect wiederaufgelegten DVD (Fassungseintrag) oder aber der gerade in Großbritannien erschienenen Blu-ray-Ausgabe in besserer Qualität und mit ansprechenden Bonusmaterialien (Fassungseintrag) entscheiden. Die ausführliche und profunde Kritik von PierroLeFou ordnet „The Pillow Book“ sowohl in den Greenawayschen als auch in den größeren filmgeschichtlichen Kontext ein.