31. Oktober 2019

Beitrag

von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Rückkehr der Halbwesen

Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles (1994) & Mary Shelley's Frankenstein (1994) & Wolf (1994)

Zwischen 1931 und 1945 boomten die klassischen Halbwesen des Horrorfilms bei Universal: die Vampire, die Tiermenschen, die Kunstmenschen. Ab 1957 wurden sie von Hammer erneut zur langanhaltenden Modeerscheinung gemacht: erst 1974 endete ihr Treiben in den kultverdächtigen Hammer-Horrorfilmen, wobei man bei Hammer ab 1970, spätestens ab 1972 nicht mehr allein auf die Halbwesen vertraute und ihnen die Oberflächenreize der '68er-Kulturen/-Milieus an die Seite stellte. Zwischen 1968 und 1975 bediente zudem Paul Naschy diese Motive im spanischen Film; Dan Curtis' "Dracula" (1974) und John Badhams hochwertiger, aber zu seiner Zeit bereits antiquiert anmutender "Dracula" (1979) beendeten dann diese zweite große Phase des klassischen Horrors, der schon ab Mitte der 70er Jahre überwiegend bloß noch in Form von Parodien denkbar war ("Dracula Père et fils" (1976), "Love at First Bite" (1979)) oder zunehmend von ausgesprochen reflektierten, selbstbewussten Formen überlagert wurde ("Martin" (1977)), derweil der spätestens 1968 aufgekommene moderne Horrorfilm Anfang/Mitte der 70er Jahre bereits die lukrativere Sparte zu sein schien (und in den 80er Jahren dann auch bereits als konventionelle Modeerscheinung weitestgehend kommerzialisiert worden ist).
Nachdem der Vampirfilm nach Dracula-Variationen wie Herzogs Murnau-Remake "Nosferatu – Phantom der Nacht" (1979) und Hoopers King-Verfilmung "Salem's Lot" (1979) in einer Dekade des Slasherfilms hauptsächlich ironisch von gothic-Momenten befreite Vertreter hervorbrachte ("The Hunger" (1983), "Fright Night" (1985), "The Lost Boys" (1987), "Near Dark" (1987)), nachdem auch der Tiermensch nach drei ironischen bis reflexiven Klassikern ("An American Werwolf in London" (1981), "The Howling" (1981), "Wolfen" (1981)) nur noch die Märchen-/Sagen-Exegese "The Company of Wolves" (1984) und weniger ambitionierte, ironische Vertreter mit B-Movie-Zügen hervorbrachte ("Teen Wolf" (1985), "Silver Bullet" (1986), "Cellar Dweller" (1987)) und nachdem der klassische Kunstmensch beinahe abwesend blieb, kehrten die Halbwesen zu Beginn der 90er Jahre dank Coppolas "Bram Stoker's Dracula" (1992) mit Mut zur Bekentnis zur gothic-Wurzel zurück.
Coppola, der schon im Titel explizit auf Stokers Roman Bezug nimmt, schaffte es zu Beginn der 90er, eine Art gothic-chic zu etablieren, der es nicht bloß erlaubte, den klassischen Horrorfilm mit seinen Halbwesen wieder auch als Kostüm- & Ausstattungsfilm anzulegen, sondern der auch dazu führte, dass die klassischen Halbwesen – gerade auch wieder in ihren altmodischen, verstaubten Qualitäten, Motiven und Strukturen – sowohl den aus der Puste geratenen Slashern den Rang wieder ablaufen als auch im Big-Budget-Mainstream-Sektor verkehren konnten. Zwei Jahre darauf kehrten der Vampir, der Kunstmensch und der Tiermensch in verhältnismäßig ambitionierten Großproduktionen wieder zurück:

"Wolf", am 17. Juni 1994 uraufgeführt, kam als erster dieser drei Filme ins Kino: Regie-Koryphäe Mike Nichols beließ den Stoff gemäß der Drehbuchvorlage in der Gegenwart; konzenrtrierte sich zu Beginn zwar bereits auf die klassische Struktur des Werwolf-Klassikers "The Wolf Man" (1942), reicherte sie dann aber schnell mit Blick auf die Geschlechterrollen um originelle Variationen und äußerst moderne Spitzen an. Dennoch war es nicht erst der gothic-horror-Film "The Wolfman" (2010), der in der Folge von Coppolas Dracula-Film zu sehen ist, sondern bereits "Wolf" – weshalb die Einbindung des Films zwischen Coppolas Dracula-Film und Branaghs Frankenstein-Film in Sonys Best of Hollywood-DVD-Set (Fassungseintrag von YankeeDoodle) durchaus sinnig ist, auch wenn "Wolf" auf der BluRay-Neuauflage des Sets nicht mehr enthalten war: Das Budget, das etwa die King-Verfilmung "Silver Bullet" um knapp das zehnfache übertroffen haben soll, der wie Coppola für das New Hollywood einstehende Nichols als populäre Regiegröße, die Besetzung mit großen Stars (Jack Nicholson, Michelle Pfeiffer, James Spader, Christopher Plummer) und die stattliche Laufzeit von zwei Stunden sprechen eine deutliche Sprache. Hier hatte man den Mut gefunden, den Tiermenschen trotz allerlei satirischer Anlagen erst zu nehmen.
Ein großer Klassiker ist Nichols letztlich zwar nicht gelungen, aber einer der ambitioniertesten Vertreter im Subgenre allemal, was auch im Review von McClane zum Ausdruck kommt.

Der am 4. November 1994 uraufgeführte "Mary Shelley's Frankenstein" von Kenneth Branagh macht den Einfluss von Coppolas Film bereits durch die Titelwahl offenkundig. Wie bei Coppola trifft die behauptete Vorlagentreue aber nicht so ganz zu: gerade Branaghs Frankenstein-Film ist durchaus für erhebliche Abweichungen offen. Branagh – ebenfalls bereits eine gewichtige, wenngleich deutlich jüngere Regiegröße, die sich mit "Henry V" (1989) und "Much Ado About Nothing" (1993) als Shakespeare-Experte ausgewiesen hatte (den großen "Hamlet" (1996) aber erst noch folgen lassen sollte) – greift auf Robert De Niro, Helena Bonham Carter, John Cleese und seine eigenen Talente als Schauspieler zurück, um Shelleys berühmte gothic novel vermeintlich vorlagengetreu bis hin zum Finale im ewigen Eis umzusetzen. Ganz anders als Coppola bleibt Branaghs Inszenierung zwar auch noch um Schauwerte bemüht, verzichtet aber gerade auf den retro chic der Studio-Kulisse, den Coppola auch aus Kostengründen verfolgte – obgleich "Mary Shelley's Frankenstein" bloß geringfügig kostenspieliger war als "Bram Stoker's Dracula" mit seinen 40 Millionen $. Branagh bleibt somit ästhetisch konventioneller, bringt auch Anflüge von Humor wesentlich ungeschickter in seinen gothic horror-Klassiker ein und erwies sich (auch aufgrund der Abweichungen von der Vorlage) als eher kontrovers bewerteter Genrefilm, der an den Kassen ausgesprochen schwach abschnitt.
Die BluRay-Version von Sonys Best of Hollywood-Set bietet Branaghs Film zusammen mit Coppolas Dracula-Film an: Fassungseintrag von otto_ludwig_piffl

"Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles", am 9. November 1994 uraufgeführt, steht mit seinem 70-Millionen-$-Budget ganz in der Nähe von Nichols "Wolf" und präsentiert sich noch weit mehr als Prestige-Projekt der A-Liga. Nach dem längst zur Reihe ausgebauten Vampirroman von Anne Rice erzählt der Film unter der Regie vom irischen Meisterregisseur Neil Jordan, der sich früher und später auch mit "The Company of Wolves" und "Byzantium" (2012) den Halbwesen der Phantastik annahm und sich gerade erst mit "The Crying Game" (1992) als Erfolgsregisseur empfohlen hatte, von der Melancholie des Vampirs, der – wie Virginia Woolfs Orlando oder Russell Mulcahys "Highlander" (1986) – durch die Jahrhunderte geistert. Diese Melancholie, die an eine wahre Romanze gebunden wird, entspringt nicht bloß Rices Roman, sondern wurde gerade erst durch Coppolas Dracula-Film als mainstreamtauglicher Ansatz ausgewiesen: Anders als in Stokers Roman geht es bei Coppola nicht um reine, gewaltgesättigte Geilheit, sondern um tiefe Gefühle und eine herzzerreißende Romanze; eine tonale Entstellung der Vorlage, die sich jedoch als äußerst massentauglich erwies. Brad Pitt, Tom Cruise, Antonio Banderas, Kirsten Dunst, Christian Slater und Stephen Rea brillieren dabei unter Jordans Regie und verleihen dem fulminant-opulenten Vampirdrama die Aura einer namhaften Großproduktion, die zum 20. Jubiläum noch einmal eine BluRay-Neuauflage erlebte: Fassungseintrag von Fallz.
Über die Qualitäten des Films lässt sich McClane in seinem Review aus.

Auch wenn "The Mummy" (1999) samt Sequels erst nach kleinerer Pause folgte und gerade auch "The Wolfman" und Universals Dark-Universe-Pläne schon wieder in eine neue Phase fielen, so ist doch davon auszugehen, dass ohne "Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles", "Mary Shelley's Frankenstein", "Wolf" und die Initialzündung "Bram Stoker's Dracula" Genrefilme wie "Bad Moon" (1996), "Mary Reilly" (1996), "Il fantasma dell'opera" (1998), "Sleepy Hollow" (1999) oder "Le pacte des loups" (2001) nicht in dieser Form gefolgt wären; sodass man schließlich – "The Mummy" samt Sequels einbeziehend – durchaus von einer Melange aus Halbwesen- und gothic horror-Welle sprechen kann, die sich mit einem spürbaren Hang zu prestigereichen Großproduktionen von "Bram Stoker's Dracula" bis etwa "Phantom of the Opera" (2004) und "Van Helsing" (2004) ziehen sollte. Ein Geisterfilm wie "The Others" (2001), der Jack-the-Ripper-Thriller "From Hell" (2001) und das Old-Dark-House-Mystery-Erbschafts-Abenteuer "Lemony Snicket's A Series of Unfortunate Events" (2004) dürften noch in diesen Dunstkreis fallen, während die Filmreihe um "Underworld" (2003) in einer Ära, in der längst andere Topoi das Genre dominierten, die klassischen Halbwesen und vereinzelte gothic chic-Elemente stärker noch als "The League of Extraordinary Gentlemen" (2003) oder "Van Helsing" an modischere Action-Strömungen anpasste, gewissermaßen an "Blade" (1998) oder Patrick Lussiers Low-Budget-Trilogie "Dracula 2000" (2000-2005) anknüpfte und sich stilistisch mehr am Action-Horrorfilm à la "Resident Evil" (2002) orientierte: Der Trailer, der seinerzeit mit Wojciech Kilars Soundtrack für "Bram Stoker's Dracula" startete und die Musik in zeitgenössischen Hip-Hop überführte, machte auf diese scheinbar im Popcorn-Format nötig gewordene Verschiebung der Akzente von gothic horror auf Action, Coolness und Mode(rnität) aufmerksam.

Details
Ähnliche Filme