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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Das krönende Abschlusswerk von Peter Watkins

Stichwörter: 2000er Dokumentarfilm Drama Frankreich Historienfilm Interviewfilm Jubiläum Klassiker mockumentary Spielfilm Watkins


La commune (Paris, 1871) (2000)
Als Napoleon III. im Juli 1870 Preußen den Krieg erklärte und den Deutsch-Französischen Krieg begann, dauerte es nicht lange, bis sich zeigte, dass sich er sich gehörig verspekuliert hatte. Anfang September musste die französische Armee bei Sedan kapitulieren, Napoleon III. selbst geriet in preußische Gefangenschaft. In Paris wurde am 4. September die Dritte Republik ausgerufen, der Krieg mit den Deutschen ging allerdings auch aufgrund der enormen Entschädigungsforderungen weiter. Die Belagerung von Paris sollte sich allerdings bis in den März 1871 hinziehen und den Unmut der Bevölkerung gegenüber der jungen Regierung nähren, ehe ein Ende Januar beschlossenes Waffenstillstandsabkommen in Kraft trat, mit dem Entwaffnungen und Entlassungen aus der französischen Armee einhergingen, welche eine Verlagerung des Machtverhältnisses mit sich brachten. Insbesondere die Frauen in der Bevölkerung konnten schließlich mit den überwiegend revolutionsbereiten Nationalgardisten den Aufstand wagen: Bis in den Mai dauerte dieser Aufstand der Pariser Kommune, die in zehn Wochen Frauenrechte stärkte, eine progressive Bildungsreform in die Wege leitete, die Interessen von Arbeiter(inne)n und Mieter(inne)n vertrat, Banken sowie Fabriken enteignete und die Fabriken in die Hände von Genossenschaften legte.
Was als erste großes kommunistisches Experiment Weltgeschichte schreiben sollte, wurde dann schließlich im Mai 1871 blutig niedergeschlagen. Peter Watkins, der einflussreiche und angesichts seiner Bedeutung noch immer nicht ausreichend populäre britische Grenzgänger zwischen dem Dokumentarfilm- und dem Spielfilm, griff diesen Stoff mit seiner (zumindest bislang) letzten Arbeit auf: Der am 26. Juni 2000 uraufgeführte "La commune (Paris, 1871)" knüpft an Frühwerke wie "Culloden" (1964) an und schildert die Ereignisse von einst mit inszenierten Interviews. "La commune (Paris, 1871)" fügt zu diesem in sich anachronistischen Konzept eines Interviewfilms aus dem historischen Setting noch ausdrücklich Kulissen aus der Gegenwart hinzu: Drehort war eine leerstehende Fabrik in Montreuil, womit sich Watkins in die Tradition von Georges Méliès stellte, der gut 100 Jahre zuvor quasi ebendort unter anderem eigene Reinszenierungen historischer Ereignisse drehte. Mit einem riesigen Cast aus meist unerfahrenen Lai(inn)en, die sich – deutlich links eingestellt – in die Rolle der Kommunard(inn)en oder – eher konservativer eingestellt – in die Rolle der politischen Gegner begaben, fingen Watkins und sein Team – darunter Odd Geir Sæther, der als director of photography bereits bei Watkins' "Edvard Munch" (1974) dabei war – die Interviews und Debatten in oftmals komplexen, langen Einstellungen ein, die meist die historischen Ereignisse recht penibel nachzeichnen, teils aber auch mit agitatorischem Potenzial Einblicke ins Hier und Jetzt gaben. Mit einer Laufzeit von bald sechs Stunden ist "La commune (Paris, 1871)" – nach dem 14½-stündigen "Resan" (1987) der längste Film des Filmemachers, der ab dem 3½-stündigen "Edvard Munch" die unüblich langen Laufzeiten für sich entdeckte hatte – ein beeindruckendes letztes filmisches Werk geworden, das im englisch- und französischsprachigen Raum auch längst seinen Klassikerstatus erlangt hat, hierzulande aber weiterhin etwas unter Radar fliegt …
Bei Doriane Films liegt der Streifen englisch untertitelt auf zwei DVDs in der Edition 5 films de Peter Watkins vor.



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