La coda dello scorpione (1971) & La notte che Evelyn uscì dalla tomba (1971) & La tarantola dal ventre nero (1971)
Drei eher kleine Perlen des giallo-Thrillers, die aber dennoch zu den bekannteren Vertretern der italienischen Thriller-Spielart zwischen sinnlicher Überstilisierung und erkenntnistheoretischen Vexierspielen zählen, erlebten im Sommer 1971 in rascher Folge ihre Uraufführung: Sergio Martinos "La coda dello scorpione" gelangte am 16. August 1971 erstmals auf die Leinwände, Emilio Miraglias "La notte che Evelyn uscì dalla tomba" folgte am 18. August 1971 und Paolo Cavaras "La tarantola dal ventre nero" erlebte seine Uraufführung am 4. September 1971.
"La coda dello scorpione" beginnt zur eingängigen, zurückhaltend treibenden Musik Bruno Nicolais mit einer Großaufnahme eines signalroten Hutes. Während der Vorspann läuft, tritt die Trägerin des Hutes weit entfernt hinter einem dicken Baumstamm im Vordergrund hervor, erscheint hinter einem davonfahrenden Bus, wird hinter Fontänen und als Spiegelung in Schaufensterscheiben eingefangen. Da ist sie, jene giallo-typische Stilisierung, die schon auf Erscheinen, Enthüllen, Verschwinden, Verschwimmen, Spiegeln und Auflösen verweist. Als der Vorspann endet schaut das Publikum im Weitwinkel eine langen Straße hinunter, deren Fluchtpunkt zentral in der Bildmitte liegt: ein klar geordnetes, hell-übersichtliches Bild, das Offensichtlichkeit und Vorhersehbarkeit verheißt, dem aber nach den vorangegangenen Eindrücken nicht so recht zu trauen ist. Und tatsächlich: Wer weiß, was hinter den Fassaden geschieht? Mit dem Handlungsbeginn erfährt man es: es ereignet sich eine dynamisch gefilmte und montierte Sexszene, deren Ekstase in der Montage mit der Explosion eines Flugzeugs kombiniert wird. Am Ende des Films wird dann alles in Unordnung sein: Kleider dreckig, Haare zerzaust, statt Straßen Sand und Meer, statt Fassaden Felsen... Zwar geht es danach doch wieder ins sterile Krankenbett, aber mit dem schönen Schein der trügerischen Oberfläche wurde in diesem giallo mit George Hilton, Anita Strindberg, Evelyn Stewart und Janine Reynaud doch gehörig aufgeräumt; Figuren wie Publikum wurden wie so oft im Genre heilsam ent-täuscht... Worum es überhaupt geht, verrät die ausführliche, freilich nicht spoilernde Inhaltsangabe von Moonshade – und wo die Qualitäten dieses zweiten Martino-giallo noch so zu verorten sind, verrät das Review von Adalmar.
Der nur zwei Tage später ins Kino gelangte "La notte che Evelyn uscì dalla tomba" von Miraglia – der anders als Sergio Martino seinen besseren giallo nicht knapp hinter sich, sondern mit "La dama rossa uccide sette volte" (1972) noch knapp vor sich hatte – ähnelt dem Martino zu Beginn frappierend: Auch hier sinnliche Trübungen, Verzerrungen und Unschärfen gleich zu Beginn; dann, mit dem Einsetzen der Handlung, eine (vergleichsweise zerdehnte) Erotikszene: zwar nicht so explizit hinter die Fassaden verbannt, aber doch (zumal nach dem Irrenhaus-Prolog) hochsymbolisch genug in verlassene Kellergewölbe verbannt. Hier bricht die Erotikszene allerdings ab, bevor sie zur wahren Sexszene gerät: Anthony Steffen, der in diesem Film neben Erika Blanc brilliert, scheint salopp gesagt ein wenig eine Klatsche zu haben. Zum Kriminalspiel gesellt sich noch deutlicher die Möglichkeit des Wahnsinns, aber auch die des heimsuchenden Spuks, des Eindringens des Unsichtbaren in die Welt des Sichtbaren. (In einer der schönsten Einstellungen des Films bringt Anthony Steffen bezeichnenderweise Licht ins Dunkel, als er die Lampe anknipst, deren Schirm das Bild wie eine Irisblende umgibt.) Man kann diese Struktur schon in Fulcis "Una lucertola con la pelle di donna" (1971, Anniversary-Text) vorfinden, der im Februar herausgekommen war: auch dort: Unschärfen, Spiegelungen; dann Sex im Verborgenen, dann die Couch des Seelenklempners. Der giallo hat sich früh als standardisiertes Genre erwiesen, dessen Mode das Glück hatte, nie selbstzweckhaft, niemals reine Oberfläche zu sein. Und beim Miraglia zeigt sich noch ein zweiter Aspekt der gialli: der pathologische Sadismus gegenüber zumeist weiblichen Körpern, der ausgekostet und zugleich verworfen wird.
Mehr zum Film und seiner Handlung ist dem lesenswerten Review von buxtebrawler zu entnehmen.
Wen wundert es nun, dass Paolo Cavara, dessen leicht metafilmisches Drama "L'occhio selvaggio" (1967) bereits Sehen und Täuschen behandelte, den kurz darauf veröffentlichten "La tarantola dal ventre nero" mit einer erotischen Szene beginnen lässt, die sich undeutlich, verzerrt, verschwommen und fragmentiert hinter einer eher bloß teiltransparenten Drahtglasscheibe ereignet. Die Täuschung ist aber doppelt: Nicht nur die Formen werden verfälscht, auch der Kontext erweist sich schnell als anderer: Kein Vorspiel, sondern eine professionelle Massage ereignet sich. Und dann gleich noch eine Täuschung: Die Massage ist doch nicht so professionell und gleicht doch eher wieder einem Vorspiel, das aber nie als Ganzes sichtbar wird, sondern als Puzzlespiel der Großaufnahmen. Dann ist auch schon der erste lasziv gestöhnte Ennio-Morricone-track vorbei, der Vorspann auch, die Handlung beginnt: wieder durch Glas gefilmt, diesmal durch eine Glaskuppel im Vorgerund, die Gemälde spiegelt und verzerrt... Als namhafter Cast führen dann unter anderem Giancarlo Giannini, Claudine Auger, Barbara Bouchet, Rossella Falk, Barbara Bach und Stefania Sandrelli durch den Film. Mit der Musik und der Kamera Marcello Gattis tragen sie viel zum hochsoliden Gesamteindruck bei, wobei sich auch hier eine (keineswegs im nur negativen Sinne) sehr formelhafte Handlung abspielt, die mit getäuschten Erwartungen, überraschenden Wendungen und teils subjektiven point of view-Einstellungen dazu anregt, die Dinge zu hinterfragen, die größere Ebene an sich hinter den Erscheinungen und Darstellungen für uns anzupeilen. (Und die POV-Einstellungen, die im Slasher ausschließlich Form waren, waren im giallo – hier oder in Bavas Slasher-Vorläufer-giallo "Reazione a catena" (1971, Anniversary-Text) – immer auch gleich ganz automatisch Inhalt.) Apropos Inhalt: Worum es in Cavaras giallo geht und weshalb sich eine Sichtung lohnt, verrät Randolph C. im wie stets souveränen Review...
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