Dersu Uzala (1975)
Manchmal ist die Geschichte hinter einem erfolgreichen oder auch einem gescheiterten Film so spannend, daß daraus wiederum Filme entstehen können, man denke nur an berühmte bzw. berüchtigte Episoden aus dem Schaffen von Francis Coppola oder Terry Gilliam. Auch bei Akira Kurosawa gibt es so eine solche (bislang unverfilmte) Geschichte, denn nach einer tiefen Schaffenskrise, die sogar in einem Selbstmordversuch gipfelte, brachte Kurosawa im Juli 1975 auf dem Internationalen Filmfestival Moskau die sowjetisch-japanische Koproduktion „Dersu Uzala“ auf die Leinwand, die im folgenden Jahr mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnet wurde.
Der prächtige 70-Millimeter-Abenteuerfilm läßt nicht ahnen, welche schwierigen Jahre Kurosawa hatte durchmachen müssen, bevor ihm ausgerechnet das Mosfilm-Studio einen Rettungsanker zuwarf. Mit „Akahige“ (1965, Anniversary-Text) war Kurosawas 15-jährige internationale Erfolgswelle verebbt, denn nicht nur endete die Partnerschaft zwischen dem Regisseur und seinem Stamm-Schauspieler Toshirô Mifune, sondern es befand sich auch die japanische Filmindustrie im Umbruch, es gab keine Gelder mehr für teure Projekte. Der Versuch Kurosawas, in Hollywood fußzufassen, scheiterte wiederholt: das 1966 fertiggestellte Drehbuch von „Runaway Train“ wurde auf Eis gelegt, und vom Dreh des Kriegsfilms „Tora! Tora! Tora!“ zog sich Kurosawa 1968 entnervt zurück. Kurosawas erster Farbfilm „Dodesukaden“ (1970, Anniversary-Text) floppte und trieb den verschuldeten Regisseur in die Verzweiflungstat, der ein Jahr Rückzug folgte. Es mag zunächst ungewöhnlich scheinen, daß 1973 das Angebot aus Moskau kam, die Männerfreundschaft zwischen dem Nanai-Jäger Dersu Uzala und dem russischen Offizier und Forscher Wladimir Arsenjew und zu verfilmen – eine wahre Geschichte, die Arsenjew in den 1920er Jahren veröffentlicht hatte und Kurosawa bekannt war. Dieser pflegte ohnehin eine tiefe Verbundenheit zur russischen Literatur und hatte bereits Stoffe oder Motive von Leo Tolstoi, Dostojewski und Maxim Gorki verfilmt (erstmalig 1951 mit „Hakuchi“). Hinzu kam, daß Mosfilm ausreichend Geld, das teure 70mm-Material, die technische Crew und ein ganzes Jahr Drehzeit zur Verfügung stellte sowie im Gegensatz zu Hollywood Kurosawa die volle künstlerische Kontrolle garantierte. Das Ergebnis ist ein zugleich gelassenes wie anrührendes Portrait zweier grundsätzlich verschiedener Männer (Maksim Munzuk und Juri Solomin), in dem noch Spuren des Klischees vom „edlen Wilden“ zu finden sind und das in einer langen Tradition solcher Erzählungen steht (die „Winnetou“-Romane von Karl May kommen einem in den Sinn). Kurosawa thematisiert indirekt auch die komplexen sozialen und kulturellen Verschiebungen in der Ussuri-Region, die aus jahrzehntelangen Spannungen und Grenzkonflikten zwischen Chinesen und Russen resultierten, sowie die Entfremdung des zivilisierten Menschen von der Natur.
„Dersu Uzala“ läutet rückblickend das Spätwerk Kurosawas ein und beeindruckt in seiner souveränen Handhabung des filmischen Handwerks und technischer Details (man beachte die Natur-Klangkulisse, die durch den Sechs-Spur-Stereoton erzeugt wird), die seine zutiefst humanistische Aussage unterstreichen. Zu sehen ist der Klassiker in restaurierter Qualität online bei Filmingo, während die australische Blu-ray (Fassungseintrag) zusätzlich einen tiefschürfenden, historisch informierten Audiokommentar bereithält. In seiner OFDb-Kritik hebt Alex Kiensch die poetischen und naturmystischen Aspekte des Films hervor.
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