Il conformista (1970) & La strategia del ragno (1970)
Einige Jahre bevor Bertolucci seinen Mammutfilm "1900" (1976) drehen sollte, der zu den größten Historienfilmen nicht nur des italienischen Films gehört, inszenierte er nach drei in der Gegenwart angesiedelten Langfilm-Erstlingen schließlich in rascher Folge zwei historische Filme: "Il conformista", der am 1. Juli 1970 in die italienischen Kinos gelangte, und "La strategia del ragno", der – obgleich etwas früher abgedreht – am 25. August 1970 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Venedig gezeigt und als RAI-Produktion im Oktober zumindest zweimalig im Fernsehen ausgestrahlt worden war. Beide Filme sind Literaturverfilmungen: "Il conformista" basiert auf einem Roman Alberto Moravias, "La strategia del ragno" auf einer Erzählung von Jorge Luis Borges. An beiden Filmen arbeitete erstmals für Bertolucci Kameramann Vittorio Storaro mit. Und in beiden Filmen weht noch einmal ein wenig der Geist Godards, der in Bertoluccis "Partner" (1968) noch eine offenkundige Dominante war und der wie der italienische Kollege zu den Regisseuren des Ombinusfilms "Amore e rabbia" (1969) gehörte, nun jedoch in beiden Filmen (wie auch im späteren "Ultimo tango a Parigi" (1972)) über bloß noch vergleichsweise dezente Anspielungen anwesend ist: die Aufnahme einer Statue in "La strategia del ragno" gemahnt an "La mépris" (1964), "Il conformista" verweist im Dialog auf "Le petit soldat" (1963). 1969/1970 schien für Bertolucci die Zeit für eine kleine Richtungsänderung gekommen zu sein. Man kann keinesfalls von einem Bruch sprechen, aber während Bertolucci seine Gegenwartsthemen in den 60er Jahren zunehmend à la Godard behandelte (ohne freilich ein Plagiator zu sein), da wich er von dieser Linie wieder ab (als Godard bereits dazu überging, ein minimalistisches, unsichtbares Filmkollektiv-Kino fernab der Kinosäle und des Spielfilms zu erfinden) und widmete sich historischen bzw. historisierenden Stoffen auf eigenständigere Weise. Bertolucci scheut dabei auch nicht vor manch konventionellen Techniken und Dramaturgien zurück, leistet sich aber überwiegend durchaus etliche, womöglich sperrig erscheinende inszenatorische und dramaturgische Kniffe, erarbeitet auf seine Weise ebenso einen avantgardistisch geprägten Historienfilm wie es Theo Angelopoulos zeitgleich in Griechenland tat.
Statik, beinahe auch tableaux vivants, durchkomponierte Kamerabewegungen und ein Wechsel zwischen den Epochen gehören etwa zu den originellen Besonderheiten in "La strategia del ragno": In diesem Film erforscht ein junger Mann den Mord an seinem Vater, der in seiner Heimat seit seinem Märtyrertod durch einen unbekannten Attentäter als Antifaschist legendär ist. Doch tatsächlich entpuppt sich der tote Vater als Verräter der eigenen Sache; nicht die Faschisten haben ihn auf dem Gewissen – auf Geheiß des Verräters haben seine Gefährten selbst ihn ermordet und es wie ein Attentat durch die Faschisten aussehen lassen. Und wie bei Borges gibt es auch hier Verweise auf Shakespeare-Stücke, an die das Geschehen bisweilen erinnert, was Bertolucci noch um visuelle Verweise auf Magritte ausweitet. Auch diese Verweise wollen darauf hinaus, dass die Vergangenheit in der Gegenwart weiterlebt, dass Legenden die Gegenwart und deren Wahrnehmung beeinflussen.
"Il conformista" ist dagegen ein Historienfilm im engeren Sinne, der nicht durch die Perspektive der Gegenwart auf die Geschichte und deren Auswirkungen blickt. Aber auch hier geht es ganz nonlinear um einen Einfluss des bereits Vergangenen: Marcello hat als Kind einen Chauffeur erschossen, der ihn – mit langen Haaren recht feminin wirkend – becirct hat. (Eine Szene, die den Kindesmissbrauch durch den Faschisten Attila in "1900" vorwegzunehmen scheint.) Diese bezeichnenderweise im Beichtstuhl erinnerte Tat, die in der ersten halben Stunde des Zweistünders dargeboten wird, führte zu einem konformistischen Verhalten des Mannes, der als Kind zum Mörder geworden war und von einer Scham erfüllt ist. Doch gerade dieser Konformismus führt ihn zum Faschismus, der ihn erneut in die Rolle eines Schuldigen drängen wird, der das Ableben eines Mitmenschen zu verantworten hat. Auch "Il conformista" kommt inszenatorisch und dramaturgisch ungewöhnlich daher, wobei die Inszenierung auf eine symbolschwangere Farbdramaturgie ebenso setzt wie auf Spiegelungen, Gittermotive und Rahmungen, welche immer wieder die von Jean-Louis Trintignant gespielte Hauptfigur als gefangene Figur ausweisen, als zerrissenen Mann, der aus seiner Haut will, aber nicht kann.
Während "La strategia del ragno" bei Filmjuwelen auf DVD vorliegt (Fassungseintrag von Film-Schlumpf), muss man im Fall von "Il conformista" noch auf ausländische Fassungenzurückgreifen, wobei die Dual Format Edition von arrow sehr zu empfehlen ist (Fassungseintrag von Phileas).