Rotterdam-Europoort (1966)
Amateurfilme im Kreise der Familie um 1910, Avantgarde-Filme in den 1920ern, engagierte Dokumentarfilme in den 30ern: spätestens seit "Borinage" (1933) war Joris Ivens eine gewaltige Kapazität im Filmbetrieb jenseits des einfachen Spielfilms. Er hatte Kontakte zu Sergei Eisenstein, zu Henri Strock, zu Hanns Eisler, zu Joseph Losey, zu Ernest Hemingway, zu Lewis Milestone oder auch zu Frank Capra; Hemingway sprach als Erzähler in Ivens' erstem US-Film "Spanish Earth" (1937): es war der Beginn eines produktiven US-Zwischenspiels, das der Kommunist Ivens, der für zwei Jahre in Moskau lebte, bis Ende des Zweiten Weltkriegs betrieb. Mit Milestone drehte er "Our Russian Front" (1942) und unter Capra arbeitete er am propagandistischen "Why We Fight"-Projekt mit und lieferte in diesem Kontext "Know Your Enemy: Japan" (1944) ab, der in seiner ersten Schnittfassung noch missbilligt worden ist; für William A. Wellmans Kriegsfilm "The Story of G.I. Joe" (1945) schrieb er am Drehbuch mit... Sein nächstes Filmprojekt sollte eine von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebene Dokumentation über die Situation in Indonesien werden: doch Ivens stellte sich gegen den niederlänischen Kolonialismus als man in Indonesien die Unabhängigkeit anstrebte und drehte "Indonesia Calling" (1946) als australische Produktion. Das hat man dem Filmemacher für Jahre übel genommen und Ivens bewerkstelligte folgende Produktionen in den nächsten Jahren in der Tschechoslowakei, in der UdSSR, der DDR, in Polen, Bulgarien, Frankreich, China, Italien, Mali, Kuba, Chile und Vietnam...
"Rotterdam-Europoort" - uraufgeführt am 29. April 1966 - war dann seine erste niederländische Arbeit nach gut drei Jahrzehnten: und zugleich seine letzte niederländische Arbeit. Es war ein Auftragsfilm über den Europoort, den damals weltgrößten Hafen, ein Hafenporträt also, wie Ivens es bereits mit "...A Valparaíso" (1963) abgeliefert hatte. Doch dieser sehr persönliche Kurzfilm, in dem Ivens den Fliegenden Holländer als Alter Ego seiner selbst in die Niederlande zurückkehren lässt, ist gewiss sein bis dahin radikalster & essayistischster Film: Ivens reflektiert sein eigenes Liebesleben, seine eigene Haltung zu den Niederlanden, niederländische Geschichte & Gegenwart, in die Zukunft weisende Trends, Sitten & Unsitten - alles ganz unverbindlich, ganz leichtfüßig und heiter... zu unverständlich für viele Zuschauer: "Rotterdam-Europoort" erzielte hervorragende Kritiken, wurde aber einer der größten Misserfolge Ivens'. Aus verwendetem und nicht verwendetem Material wurde daher ohne Ivens' Mitarbeit noch ein konventionelles Hafenporträt durch Ivens' Tontechniker Tom Tholen angefertigt. In der Hauptrolle des Fliegenden Holländers ist der Dichter, Sänger, Bildhauer und Grafiker Carel Kneulman zu sehen, dessen Skulpturen man teilweise ebenfalls zu Gesicht bekommt. Ein bekannteres Gesicht bietet freilich Willeke van Ammelrooy, die hier in ihrer ersten Rolle zu sehen ist. Was für van Ammelrooy ein Debüt war, war für Ivens ein endgültiger Abschied: Fortan dreht er in Vietnam und China, wo 1976 seine zwölfteilige, französische Produktion "Comment Yukong déplaça les montagnes" entsteht. Es folgten 1977 noch zwei nachgeschobene Anhängsel über die Kasachen und die Uiguren - und nach elf Jahren der Zurückgezogenheit legte der 90jährige Ivens 1988 mit seinem Essayfilm-Klassiker "Une Histoire de vent" (1988) ein weises Alters- & Abschiedswerk vor. Dieses liegt gemeinsam mit "Rotterdam-Europoort" und vielen anderen Ivens-Klassikern in der ganz hervorragenden, reichhaltigen Edition Joris Ivens vor, die hierzulande von absolut medien vertrieben wird: Fassungseintrag von PierrotLeFou.
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