Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972) & Händler der vier Jahreszeiten (1972) & Acht Stunden sind kein Tag (1972)
Im Februar erlebte "Peter von Kant" (2022) seine Uraufführung: Dass sich François Ozon mit diesem – mit Fassbinder-Star Hanny Schygulla besetzten – Film an Fassbinders am 25. Juni 1972 uraufgeführten "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" anlehnt, verwundert vielleicht nicht allzu sehr, wenn man bedenkt, dass Ozon schon mit "Gouttes d'eau sur pierres brûlantes" (2000) ein Fassbinder-Stück verfilmte; aber es zeigt doch das ungebrochene Interesse vor allem auch im Ausland am namhaften Vertreter des Neuen Deutschen Films. "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" gilt als eines derwichtigsten Fassbinder-Werke überhaupt. Die Bremer Modeschöpferin Petra von Kant (Margit Carstensen) begegnet nach ihren Männerbeziehungen der jüngeren Karin (Schygulla), der sie verfallen wird. Die eigentlich recht herrische Frau wird ihrer eigenen Ohnmacht gewahr in dieser ungesunden Beziehung, die immerhin in eine Selbsterkenntnis mündet, welche die eigene Liebe als Besitzwunsch enthüllt. Am Ende steht eine Art Wandel: indes – er wird nicht honoriert. Das kammerspielartige Drama führt die Richtung fort, die Fassbinder schon kurz zuvor mit dem am 10. Februar 1972 uraufgeführten "Händler der vier Jahreszeiten" eingeschlagen hatte: das Interesse an Douglas Sirk oder (wie ein Christoph Schlingensief später meinte) an Veit Harlan, das Interesse am Melodram wurde von Fassbinder mit einer seltsamen Mischung aus Ernst, Pathos, Distanz und Ironie zelebriert, was seinen Filmen fortan ein wenig die frühere Sperrigkeit nahm. Auch der Zuspruch war enorm: für manchen Kritiker war es nichts anderes als der beste deutsche Film nach dem Krieg. In "Händler der vier Jahreszeiten" erzählt Fassbinder die Geschichte eines Mannes, der in der Liebe, in der Ehe, in der Karriere scheitert, der erst unglücklich ist, später unglücklich und krank, am Ende tot. Um ihn herum gäbe es genug Mitmenschen, die helfend einschreiten könnten. Aber am Ende ist sein Ableben dann sogar ganz komfortabel für manch eine(n). Der Film, mit dem Fassbinder seinen Vertrauten zufolge eigene Familiengeschichten verarbeitet haben soll, würde sich heute ganz besonders für eine Neuverfilmung empfehlen: Immerhin ist die tragische Gestalt des Mannes, der in seiner Ohnmacht seine keinesfalls rundum sympathische Frau prügelt (was als ähnlich verzeihlich in Szene gesetzt wird wie etwa Erland Josephsons Attacken auf Liv Ullmann in Bergmans "Scener ur ett äktenskap" (1973)) eine heute als problematisch wahrgenomme Figur.
Aber neuverfilmt wurde nun eben erst einmal "Die bitteren Tränen der Petra von Kant": Dass Ozon aus dieser lesbischen Beziehung eine schwule Variante macht, scheint auf die vielfachen Äußerungen Bezug zu nehmen, nach denen Fassbinder mit diesem Film eigene Beziehungserfahrungen mitsamt Machtansprüchen, Machtmissbrauch und Abhängig verarbeitet haben soll. Ebendiese waren Bestandteil von Oskar Roehlers Fassbinder-Biopic "Enfant Terrible" (2020), das ebenfalls gerade erst das nicht abebbende Interesse an Fassbinder erkennen ließ.
Immerhin hatte dieser 50 Jahre zuvor, in den frühen 70er Jahren, seine enorm produktive Hochphase begonnen hatte: Von den 44 Filmen seiner 16-jährigen Karriere kommt über die Hälfte in den sechs Jahren von 1970 bis 1975 heraus. 1972 waren etwa noch die Fernsehfilme "Bremer Freiheit" (1972) über die Giftmörderin Gesche Gottfried oder "Wildwechsel" (1972) zu sehen. Relevanter war da Fassbinders überraschendes Projekt einer TV-Serie, "Acht Stunden sind kein Tag", das bei einem Vertreter des Neuen Deutschen Films überraschen mochte. Doch die ab dem 29. Oktober 1972 bis zum März 1973 ausgestrahlte 5-teilige Serie, die großen Zuschauer(innen)-Zuspruch erhielt, nutzte ein das populäre Medium, dem meist nur wenig zugetraut wurde, um arbeitsrechtliche Fragen zu verhandeln, soziale Teilhabe in den Blick zu nehmen und das Verhältnis von Privatem und Publikem spannend aufzufächern. Mit Gottfried John, Hanna Schygulla, Irm Hermann, Kurt Raab und El Hedi ben Salem standen ihm auch für das Serienformat seine Stammdarsteller(innen) zur Verfügung. Aber trotz des Erfolgs bei Kritik und Publikum wurde die Serie nicht mehr weiter fortgeführt: Zu abschreckend schien den Verantwortlichen des Senders WDR Fassbinders Interesse an einer Vertiefung von Gewerkschaftsverhandlungen und -arbeit zu sein. Das seit Adorno unter Intellektuellen jener Jahre als suspekt geltende Medium, das ein Alexander Kluge erst in den 80er Jahren nach dem Kinofilm als neues Betätigungsfeld mit recht sperrigen Arbeiten für sich entdecken sollte, wurde ausgerechnet mit dem verpönten Serienformat von Fassbinder aufgegriffen, um die Vorwürfe, die dem Fernsehen gemacht wurden, zu entkräften. Scheinbar hat aber genau dieses Anliegen dazu geführt, dass er dieses Experiment nicht weiter verfolgen konnte.
Vor fünf Jahren kam Fassbinders lange schwer zu bekommende Serie auf DVD und Blu-ray heraus: Fassungseintrag von Kayfabe