Sunset Boulevard (1950)
Es war vielleicht der Blick des Außenstehenden, der dem aus Deutschland emigrierten Billy Wilder erlaubte, die Leichen im Keller der Hollywood-Filmindustrie schärfer als andere zu sehen. Ganz zweifellos war es aber sein beißender Humor, der ihn als Teil eben dieser Filmindustrie dazu bewog, diese Leichen bzw. ehemalige Leinwand-Stars in seinem neuesten Film spielen zu lassen. Und so hielt „Sunset Boulevard“ am 10. August 1950 der Traumfabrik einen Spiegel vor, der das Publikum bis heute wohlig erschauern läßt.
Hollywoodfilme, die das Geschäft hinter den Leinwandträumen thematisieren, hatte es schon oft gegeben, allerdings markiert das Jahr 1950 die Entstehung eines Subgenres: nicht die aufstrebenden Stars stehen im Zentrum des Interesses, sondern der Drehbuchautor als oft übersehener und unterschätzter Teil der kreativen Wertschöpfungskette. Nur wenige Monate vor der Premiere von „Sunset Boulevard“ hatte „In a Lonely Place“ Humphrey Bogart als fiktiven Autor giftige – und treffende – Kommentare über die Löwengrube Hollywood äußern lassen (Anniversary-Text). Auch „Sunset Boulevard“ hat einen erfolglosen Drehbuchschreiber als Hauptfigur (William Holden), dieser stößt auf die abgelegene Villa einer ehemaligen Stummfilm-Diva (Gloria Swanson) und läßt sich von ihr aushalten, während sie sich durch ihn ein Karriere-Comeback verspricht. Billy Wilder und sein langjähriger Ko-Drehbuchautor Charles Brackett verweben in ihrem Plot mehrere Ebenen nahtlos miteinander: den Nachhall des Wandels vom Stumm- zum Tonfilm, das Fallenlassen älterer Darsteller, das Profitinteresse der großen Studios, die fließbandartige Herstellung von Filmen, das Ausbeuten von Kreativen, die Gier nach Geld und Ruhm, um nur einige zu nennen. Wirklich genial jedoch ist die Besetzung des Films mit tatsächlichen ehemaligen Hollywoodstars, die offenbar bereit waren, sich selbst und ihr Karriereende zu persiflieren. Gloria Swanson, Erich von Stroheim und Buster Keaton sind wohl die berühmtesten „Gescheiterten“, Cecil B. DeMille spielt sich selbst als immer noch gefragten Regisseur, der jedoch nichts für ungeliebte Ex-Stars tun kann. Es gibt unzählige weitere Verweise und Anspielungen auf tatsächliche Anekdoten, Charaktere und Eigenheiten des Filmgeschäfts, teils kaum fiktionalisiert, so daß „Sunset Boulevard“ zu einer faszinierenden Mischung aus wenig Dichtung und viel Wahrheit wird. Komisch-absurde Szenen oder das exaltierte Spiel von Swanson werden durch berührende Momente ausbalanciert, so daß die menschliche Tragik der gefallenen Stummfilm-Ikonen Swanson und von Stroheim in einem grandiosen, vieldeutigen Finale gipfelt.
Im Wesentlichen ist das „System Hollywood“ seit beinahe einhundert Jahren unverändert: noch immer wollen die Zuschauer stets junge, „unverbrauchte“ Gesichter, noch immer ist das Altern vor allem für Schauspielerinnen ein riesiges Problem, noch immer ist das Filmgeschäft primär genau das – ein Business, das die kreative Leistung u.a. von Drehbuchautoren zu Geld macht. Jedoch nie zuvor und selten danach sind diese Aspekte auf so kluge und unterhaltsame Weise verknüpft worden wie in „Sunset Boulevard“. Zum Jubiläum von Wilders Klassiker hat Paramount eine frische 4K-Abtastung spendiert, die in ausgewählten Streams bereits zu sehen ist und in wenigen Tagen auf UHD-Blu-ray in einer Collector’s Edition erworben werden kann.
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