O Thiassos (1975)
Wohl kein anderer Film hatte jemals zuvor so viel an Gehalt und formalen Gestaltungswillen mit sich gebracht und solch eine Bedeutung in der Filmgeschichte erlangt wie "O Thiassos": nicht "To Koritsi me ta mavra" (1956, Das Mädchen in Schwarz), nicht "Mikres Aphrodites" (1963, Junge Aphroditen), nicht "Evdokia" (1971) und schon gar nicht "Alexis Zorbas" (1964)… Zwischen der griechische Mythologie und Spyridon Peresiadis' populärem Stück "Golfo" (1893) sowie zwischen den Jahren 1939 und 1952 hatte Theo Angelopoulos die Geschichte seiner titelgebenden Schauspieltruppe angesiedelt, die in der gut vierstündigen Handlung inmitten politischer Umbrüche von der Metaxas-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg bis hin zum Griechischen Bürgerkrieg und dem Wahlkampf Alexander Papagos' nicht bloß unter äußerem Druck, sondern auch aus internen Betrugs- und Eifersuchtsgeschichten aufgerieben wird – wobei die politischen Positionierungen der Figuren mit Folgen wie Exil, Partisanentum, Haftstrafen und Hinrichtung die Brücke vom privaten Drama zum Historiendrama schlagen. Dieses beeindruckt durch teils extrem lange Einstellungen und Plansequenzen, die mit dem Hang zu Totalen und Halbtotalen, einer entschleunigten Dramaturgie und streng inszenierten Lücken und Leerstellen durchaus eine als sperrig zu bezeichnende Ästhetik ergeben. Fulminant ist der Wechsel zwischen den Zeiten; auch innerhalb der Einstellungen. So mündet der Film 1952 wieder im Jahr 1939, so als müsste man sich die Entwicklung der frühen 50er Jahre im Bewusstsein der Militärdikatur seit 1967 denken. Diese Diktatur mag den Hang des griechischen Regie-Großmeisters zur Leerstelle geprägt haben, aber "O Thiassos" ist über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden, in den auch das Ende der Diktatur fiel. Es scheint fast so, als habe der Film in seiner endgültigen Form nur zu genau dieser Zeit entstehen können. (Im kommenden "Oi Kynighoi" (1977), dem Abschluss seiner Historischen Trilogie, die mit "Meres Tou 36" (1972) begonnen hatte, wird dann die damalige Gegenwart nach Ende der Diktatur zurückgeführt auf die Diktatur und bis hin zum Griechischen Bürgerkrieg.) Und obgleich die Laufzeit gewaltig, die emotionale Distanz zum Geschehen groß, die Beschäftigung mit griechischer Geschichte intensiv und die Form sperrig ist, entpuppte sich "O Thiassos" nicht bloß bei seiner Uraufführung in Cannes am 12. Mai 1975 als FIPRESCI-Gewinner, der noch im selben Jahr weitere Preise zuhauf einheimsen sollte, sondern als langfristiges Schwergewicht im europäischen Film: 50 Jahre später ist auch Angelopoulos selbst als wohl noch immer bedeutsamster Filmemacher Griechenlands, dessen sich gemächlich wandelnde Inszenierungskunst das Weltkino insgesamt geprägt und bereichert hat, endgültig in die Filmgeschichte eingegangen; und "O Thiassos" gehört zu seinen beeindruckendsten Filmen.
Mehr zum Inhalt? Inhaltsangabe von PierrotLeFou
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