Gabbeh (1996)
Mohsen Makhmalbaf dreht seit den frühen 80er Jahren Filme im Iran und ist gemeinsam mit seinen zwei Töchtern – insbesondere mit Samira Makhmalbaf –, seinem Sohn und seiner zweiten Ehefrau zu einer gewichtigen Größe in der iranischen Filmlandschaft geworden; hierzulande bekannt vor allem für "Safar e Ghandehar" (2001, Reise nach Kandahar). Zu seinen großen Klassikern – von Steven Jay Schneider unter seine "1001 Movies You Must See Before You Die" (2003) aufgenommen – gehört auch der am 1. Februar 1996 auf dem Fajr Film Festival uraufgeführte "Gabbeh", in dessen Zentrum der titelgebende handgeknüpfte Perserteppich eines alten Paares steht: er zeigt auf weitgehend blauem Grund vor allem ein Paar auf einem Pferd. Und Gabbeh, die abgebildete junge Frau, entsteigt dem Gabbeh, um dem alten Paar ihre Geschichte im Milieu der Gashgai zu erzählen, die von wahrer Liebe und Zwangsehe, von Auflehnung und Duldsamkeit geprägt ist. Wie der Teppich erscheint auch der Film selbst als Knüpfwerk, der unterschiedliche Stränge zu einem Gesamtbild vereint: das betrifft nicht bloß die Dramaturgie, die weit weg vom hiesigen Mainstreamfilm-Erfahrungen ist, sondern auch den Gehalt, geht es doch etwa um die Liebe in jungen Jahren wie um die Liebe im gehobenen Alter zugleich. So versucht sich der Film recht ungezwungen an einer Art conditio humana, bebildert existentielle Grunderfahrungen und -bedürfnisse des (menschlichen) Seins... und ungezwungen erscheint auch die Form: Zwar kommt "Gabbeh" manchmal fast schon in Form von tableaux vivants und streng kadrierter, statischer Einstellungen daher, aber nie gleicht Makhmalbafs Ästhetik wirklich jenem rigorosen Stilwillen Sergei Parajanovs, mit dem "Gabbeh" bisweilen (und durchaus nicht vollkommen unnachvollziehbar, aber eben doch nur näherungsweise zutreffend) verglichen wird. (Auch den Parajanov's Thaler - Lifetime Achievement Award erhielt Makhmalbaf 2006 auf dem Golden Apricot Yerevan International Film Festival.) "Gabbeh" ist letztlich doch weniger abstrakt, etwas organischer montiert und viel nahbarer in seinem Humor: etwa in der originellen Farbenlehre vor der kargen Schiefertafel, in welcher der Lehrer das Blau aus dem Wasser und das Gelb aus der Sonne greift, um beide Hände im Grün des Grases zu vereinen. Semidokumentarischen Aufnahmen der Knüpfarbeit und elegische Aufnahmen windgepeitschter Gräser oder fließenden Wassers fallen vereinzelt formstrenger und erhabener aus. Der Film, der mit "Sokout" (1998) und "Baghban" (2012) meist zur Poetic Trilogy zusammengefasst wird, wurde im Sommer 2018 mit diesen Titeln als Mohsen Makhmalbaf: The Poetic Trilogy von arrow veröffentlicht.