Jakob, der Lügner (1974)
Es geschah selten, daß ein DEFA-Film größere Aufmerksamkeit im westlichen Ausland erregte, und nur ein einziges Mal, daß sogar eine Nominierung für den Auslands-Oscar erfolgte: die Ehre wurde „Jakob, der Lügner“ zuteil, der am 22. Dezember 1974 im DDR-Fernsehen uraufgeführt wurde und wenige Monate später auch in den Kinos anlief.
Ohne Zweifel gebührt Jurek Becker, dem Autor des Drehbuchs und der 1969 erschienenen, weltweit erfolgreichen Romanvorlage, der Löwenanteil der Anerkennung für „Jakob, der Lügner“. Beckers teils autobiographische Geschichte (er war im Ghetto von Lodz aufgewachsen) erzählt von einer hoffnungbringenden Lüge im Angesicht der völligen Verzweiflung und pflegt dabei einen trockenen, sich jeder Sentimentalität enthaltenden Stil, der trotz oder gerade wegen seines düsteren Sujets immer wieder mit verschmitztem Humor aufwartet. Becker zeichnet ein kleines Ensemble lebensechter Charaktere in einem jüdischen Ghetto in den 1940er Jahren, die täglich mit Hunger, Elend und Tod konfrontiert sind, dabei aber ihre Würde nicht verlieren. Die Titelfigur Jakob (Vlastimil Brodský) kann sich aus der unbeabsichtigten Notlüge nicht wieder herauswinden, er habe ein Radio und damit Informationen zum baldigen Ende der Nazi-Schreckensherrschaft. Eine herausragende Besetzung (Erwin Geschonneck, Dezsö Garas, Henry Hübchen, die Kinderdarstellerin Manuela Simon) haucht mit zurückhaltendem Spiel den Nebenfiguren Leben ein, während der Regisseur Frank Beyer und sein Kameramann Günter Marczinkowsky sich ganz dem Drehbuch unterordnen, eine schlichte Bildgestaltung pflegen und damit den Charakteren und ihren Dialogen Raum geben. Für Beyer war es die Rehabilitierung als DEFA-Regisseur, nachdem er im Zuge des Kultur-Kahlschlags des berüchtigten 11. SED-Plenums wegen „Spur der Steine“ (1966) praktisch mit Berufsverbot belegt worden war. Wie schon die Vorlage verzichtet Beyer in „Jakob, der Lügner“ auf die Darstellung von Gewalt oder emotionalen Spitzen, Musik kommt nur äußerst sparsam zum Einsatz, es herrscht eine beinahe nüchterne Kammerspiel-Atmosphäre (die dem Stoff zwar zuträglich ist, aber sicher auch dem üblichen knappen Budget geschuldet war, unter dem viele DEFA-Produktionen litten). Eine Seltenheit für einen antifaschistischen DEFA-Film ist zudem die konsequent jüdische Perspektive, die die privaten, unpolitischen Sehnsüchte und Bedürfnisse der Protagonisten ernstnimmt und davon absieht, ihren Widerstand propagandistisch zu instrumentalisieren.
Ob dem 1997 verstorbenen Jurek Becker das 1999 erschienene US-Remake von „Jakob, der Lügner“ gefallen hätte, läßt sich nur spekulieren, sicher ist nur, daß es im Gegensatz zu Frank Beyers Verfilmung keinen bleibenden Eindruck bei Kritik und Publikum hinterlassen hat, zu offensichtlich bewegte es sich wohl im Fahrwasser des thematisch vewandten „La vita è bella“ (1997). Während Beckers Roman nach wie vor erhältlich ist, gibt es die DVD von „Jakob, der Lügner“ (Fassungseintrag) nur auf dem Gebrauchtmarkt, allerdings ist sie hinsichtlich der Bildqualität den bisher erfolgten HD-TV-Ausstrahlungen im Fernsehen unterlegen. Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem DEFA-Klassiker unternimmt das „Wiederaufführung“-Podcast mit der Beteiligung vom OFDb-Mitglied Mmexx, das hiermit wärmstens empfohlen sei.
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