Faustrecht der Freiheit (1975) & Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel (1975) & Angst vor der Angst (1975)
Spätestens ab "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972) galt R. W. Fassbinder als Regisseur von Rang. Mit der TV-Serie "Acht Stunden sind kein Tag" (1972), dem TV-Mehrteiler "Welt am Draht" (1973) und dem Film "Angst essen Seele auf" (1974) kam er zudem beim TV- und Kinopublikum gut an. "Acht Stunden sind kein Tag" wurde zugleich kritisiert: von rechter wie von linker Seite. Diese Kritik von links traf auch sein vermeintlich antisemtisches Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" (1974). Und sie traf auch "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel", der am 7. Juli 1975 auf der Berlinale zu sehen war und auf heftigen Widerstand stieß. Immerhin nimmt die zeitgemäße Variation von "Mutter Krausens Fahrt ins Glück!" (1929), dem großen Klassiker des Proletarischen Films, eine irritierende Wendung: Mutter Küster (Brigitte Mira), deren Mann nach Massenentlassungen in der Fabrik seinen Chef und dann sich selbst umbrachte, wird auch von ihren Kindern verlassen, die sich abwenden, scheint dann aber neuen Halt bei der DKP zu finden, wird aber auch dort nur benutzt und findet schließlich den Tod. Diese Lust, nach rechts wie nach links gleichermaßen auszuteilen, setzte sich noch radikaler in "Die dritte Generation" (1979) fort, seinen Status als skandalträchtiger, umstrittener Politfilmer, dem man oft genug den Vorwurf des Unpolitischen machte, hatte Fassbinder aber Mitte der 70er Jahre bereits fest eingenommen. (Mehr? Review von buxtebrawler) Zugleich war "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel" zwei Jahre später der Eröffnungsfilm einer Fasssbinder-Retrospektive in New York: In den USA galt Fassbinder, der ab 1977 auch fremdsprachige Filme oder in internationaler Produktion bzw. mit internationalen Stars zu drehen begann, als einer der wichtigsten deutschen Filmemacher der Gegenwart, dem wohl nur noch Herzog und Wenders Konkurrenz machen konnten. Berühmt und umstritten zugleich und bereit zur Provokation wie eh und je zeigte sich Fassbinder Mitte der 70er Jahre von einer besonders düsteren Seite: Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der am 15. Mai 1975 uraufgeführte "Faustrecht der Freiheit" ironisch und humorvoll daherkam: Diese schwule Abwandlung des Lebensdramas "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" im weniger stilisierten Ambiente nimmt wie "Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel" ein bestürzendes Ende. Da ist Franz "Fox" Bieberkopf zwar der große Lottogewinn geglückt, der es dem proletarischen Typen erlaubt, in die gehobene Gesellschaft integriert zu werden, aber die Ausnutzung und Ausbeutung, die insgeheime Ablehnung sind immens und besiegeln den Untergang des Mannes, der schließlich nach Valium-Überdosis in der U-Bahn-Station verreckt: Die Kinder, die ihn finden, rauben sein letztes Geld, die Bekannten, die ihn sehen, verdrücken sich schnell, um nichts damit zu tun zu haben. (Mehr? Review von klepp) Noch radikaler kommt der am 8. Juli 1975 uraufgeführte TV-Film "Angst vor der Angst" nach einer Erzählung der fortan von Fassbinder geförderten Autorin Asta Scheib daher: der kostengünstigste und "kleinste", intimeste der drei Filme, wenngleich derjenige mit der längsten Drehzeit: Margit Carstensen entwickelt hier als Margot eine rätselhafte Angststörung, der die Fachleute mit unterschiedlichen Diagnosen begegnen. Das Umfeld begegnet ihrem Verhalten mit oberflächlicher Zuwendung, mit peinlicher Berührtheit oder auch mit eher egoistischen Hintergedanken. Wirklich mitfühlend erweisen sich nur wenige Personen in Margots Umfeld: Darunter ein von ihr zurückgewiesener Nachbar, der selber einen eher auffälligen Außenseiter darstellt. Kurz darauf wird er sich erhängen, Margot scheint dem an der Oberfläche keien Bedeutung beizumessen… Nicht einmal die Außenseiter der Gesellschaft können sich hier gegenseitig auffangen, was zumindest in "Angst essen Seele auf" noch möglich war.
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