Pikovaya dama (1916)
Er kam noch vor dem russischen Filmpionier Yevgeni Bauer zum Kino und verschwand etwa zeitgleich mit S. M. Eisenstein von der Bildfläche: Yakov Alexandrovich Protazanov, der zwischen 1909 und 1943 rund 70 Spielfilme drehte (darunter den part talkie "Prazdnik svyatogo Yorgena" (1930), einen der ersten russischen Tonfilme) und dessen Bekanntheitsgrad heutzutage beschämend gering ausfällt. Am populärsten ist heutzutage zweifelsohne sein Sci-Fi-Abenteuer "Aelita" (1924), welches seine Bekanntheit vor allem seinem Genre verdankt. "Zakroyshchik iz Torzhka" (1925), mit welchem er damals auch großen Erfolg als Komödienregisseur verbuchen konnte, findet dagegen beispielsweise kaum noch Aufmerksamkeit - und das gilt im Grunde für sein gesamtes Spät- & Tonfilmwerk. Einige Aufmerksamkeit erhalten dagegen noch zwei frühe Werke Protazanovs, die zu den großen Klassikern des zaristischen Kinos zählen: Die zwischen den 1917er Februar- und Oktoberrevolutionen gedrehte Leo Tolstoy-Verfilmung "Otets Sergiy" (1918), die erst nach einem knappen Jahr inmitten neuer politischer Verhältnisse in die Kinos gelangen durfte, und die Puschkin-Verfilmung "Pikovaya dama".
"Pikovaya dama", der ab April 1916 in Russlands Kinos und ab dem 18. November 1917 auch in den USA zu sehen war und Protazanov internationale Aufmerksamkeit & Anerkennung verschaffte (um nach seinen Aufführungen in Paris um 1920 auch den Ruf des Hauptdarstellers Ivan Mozzhukhin im Ausland zu etablieren), ist - neben "Aelita" und "Satana likuyushchiy" (1917) - vor allem für Liebhaber des phantastischen Kinos ein Leckerbissen. Puschkins phantastische Novelle – die unter anderem noch von Thorold Dickinson als "The Queen of Spades" (1949) hervorragend verfilmt worden ist - besticht unter Protazanovs Regie aber nicht bloß als früher Langfilm des phantastischen Kinos, sondern auch als inszenatorisches Bravourstück. Überaus systematisch greift Protazanov zur Vermischung unterschiedlicher Aufnahmen zur gleichen Zeit, um per Doppelbelichtung oder einer Form des split screens Einbildung & Erinnerung abzubilden (während er solche Tricks bezeichnenderweise meidet, wenn es um Geistererscheinungen geht, für welche er den festen Körper seiner Darstellerin ganz normal neben den lebenden Figuren agieren lässt). Und wenn er von Erinnerungs-/Einbildungsbildern, in denen die einstmals junge Gräfin Fedotovna ein unseliges Geheimnis vom Grafen von Saint Germain in ihr Ohr geflüstert bekommt, überblendet in die Aktualität, in der die Hauptfigur exakt diese Situation ins eigene Ohr geflüstert bekommt, dann verschmilzt Protazanovs Inszenierung auch noch zwei Figuren miteinander, deren Schicksale eng miteinander verbunden sind, die sogar einige Zeit einander zu gleichen scheinen, sich in ihren - beide Male fatalen - Ausgängen dann aber doch noch erheblich unterscheiden. Auch im Umgang mit Licht und Schatten ist Protazanovs Film dem zeitgenössischen deutschen Kino - welches wenige Jahre darauf Licht- & Schattenspiele zu seinem Markenzeichen machen sollte - weit voraus. Protazanovs "Pikovaya dama" ist als zweite Verfilmung der - von Tschaikowski auch zur Oper verarbeiteten - Literaturvorlage Puschkins zugleich eine der besten... wenn nicht gar die beste. Zum 100. Jubiläum ist unter Pavel Lungins Regie kürzlich die Neuverfilmung "The Queen of Spades" (2016) entstanden...
Worum es geht? Inhaltsangabe von PierrotLeFou