Nattevagten (1994)
Ole Bornedals am 25. Februar 1994 uraufgeführter „Nightwatch – Nachtwache“ ist sicherlich einer der Höhepunkte des skandinavischen Spannungskinos – noch einige Jahre, bevor eine wahre Krimiwelle, erst in Form von Romanen von Autoren wie Henning Mankell oder Håkan Nesser, aber schnell auch deren Verfilmungen aus den nordischen Ländern nach Deutschland überschwappte.
Warum „Nightwatch“ so gut funktioniert, liegt an der für ein Erstlingswerk erstaunlich virtuosen Verknüpfung beliebter Versatzstücke aus Thriller- und Horror-Genre. Hauptschauplatz ist ein Krankenhaus, in dem sich die männliche Hauptfigur Martin (Nikolaj Coster-Waldau aus „Game of Thrones“ in einer frühen Rolle) als Nachtwächter etwas Geld neben dem Studium verdient. Ein regelmäßiger Kontrollgang durch die menschenleeren Flure führt ihn stündlich in die Pathologie, wo gleich mehrere Leichen mit ihren unter weißen Laken herausragenden Füßen liegen. Als bräuchte das nicht schon starke Nerven genug, geschehen auch noch seltsame Dinge in der Leichenhalle, die auch etwas damit zu tun haben, dass ein Serienmörder im Prostitutiertenmilieu sein Unwesen treibt.
Dunkelheit, Einsamkeit, unerklärliche Geräusche, der rätselhafte Killer, Tote, die vielleicht gar nicht tot sind – geschickt spielt Bornedal, der auch das Skript verfasst hat, mit den Urängsten des Publikums und schickt mit Martin einen sympathischen Protagonisten ins Rennen, auf den zwar in Kürze der Ernst des Lebens wartet (eventuell sogar mit Hochzeit), der sich das aber noch nicht eingestehen mag, lässt er sich doch immer wieder von seinem besten Kumpel Jens (Kim Bodnia) mitreißen, der erst recht nicht erwachsen werden will und ihn zu herausfordernden Spielen antreibt, mit denen sie sich nicht selten den Unmut ihrer Freundinnen zuziehen. Es ist eine Stärke des Drehbuchs, dass die Prüfungen, die sich die beiden Freunde auferlegen, tatsächlich noch eine entscheidende Rolle für die Geschichte spielen.
Geschickt lockt der Film sein Publikum dabei mehrfach auf die falsche Fährte und bringt einige Verdächtige ins Spiel und zieht die Schlinge um Martins Hals immer enger, die nicht einmal dann gelockert wird, wenn in einer haarsträubend aufregenden Szene, in der das Grauen mit einem dänischen Kinderlied kontrastiert wird, unversehens die Katze aus dem Sack gelassen und der Killer enthüllt wird. Vielmehr schließt sich ein noch nervenaufreibenderes Terror-Finale an, das es mit jedem Thriller aus Hollywood aufnehmen kann.
Apropos Hollywood: Es verwundert nicht, dass nach dem internationalen Erfolg von „Nightwatch“ die USA lautstark nach einem Remake riefen, das Bornedal nur drei Jahre später selbst inszenierte und in wirklich jedem Punkt unterliegt. Das macht aber nicht das Original vergessen, das bei der Frage nach meinem persönlichen Lieblingsthriller stets ganz vorn mit dabei ist.
Studiocanal bietet den Film mit seinem Remake als Double Up Collection kostengünstig auf DVD: Fassungseintrag von benuildo