14. Mai 2018

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von PierrotLeFou

Vor 100 Jahren: Protazanov-Klassiker nach Tolstoi aus der Umbruchsphase

Otets Sergiy (1918)

"Ukhod velikogo startsa" (1912) war Protazanovs Tolstoi-Biopic, das dem Schriftsteller am Schluss den Aufstieg in den Himmel gewährte. Jenem Schriftsteller, der in seiner Novelle "Otets Sergiy" (1890-1898/1911) am Mönchs- und Klosterleben wenig Gutes ließ und wahre Frömmigkeit ganz woanders verortete. Die häufige Behauptung, dass die orthodoxe Kirche den Film wegen dieses Schlusses als Blasphemie verbieten ließ, ist durchaus nachvollziehbar. Protazanovs Wunschprojekt, die Verfilmung von Tolstois "Otets Sergiy", war jedenfalls zu dieser Zeit erst recht unmöglich. Erst die gesellschaftlichen Unruhen, die während der (und zwischen den) Februar- und Oktober-Revolutionen 1917 in Russland aufkamen, schienen die Annäherung an diesen Stoff zu ermöglichen, wenngleich erste Ankündigungen solch eines Projekts schon bis ins Jahr 1916 zurückreichen sollen. Protazanov hatte zwischen den Revolutionen bereits den diabolischen, für Gottesmänner wenig schmeichelhaften "Satana likuyushchiy" (1917) gedreht, der noch 1917 zur Uraufführung gelangte. Zwischen März und Oktober 1917 fanden auch die Dreharbeiten an "Otets Sergiy" statt (wenn man Jerzy Toeplitz' Filmgeschichte Glauben schenkt), der allerdings erst am 14. Mai 1918 seine Uraufführung erlebte (und manchen Quellen zufolge erst Anfang 1918 vollends fertiggestellt worden ist). Die lange Phase zwischen Ende der Dreharbeiten und Uraufführung wird mitunter damit begründet, dass der Stoff - der im zaristischen Russland wegen seiner antiklerikalen Spitzen ein heißes Eisen gewesen ist - zwar nach der Oktoberrevolution eine willkommene Abkehr der Titelfigur vom zaristischen Russland zum Inhalt hat, dem mönchischen Leben aber nun wiederum zuviel positive Konnotationen zukommen lässt. Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen: "Otets Sergiy", den Protazanov einmal mehr mit Ivan Mozzhukhin in der Hauptrolle angefertigt hatte, festigte den enormen Ruf des Regisseurs abermals. (Wobei nicht unterschlagen werden soll, dass ihm hier der Ko-Regisseur Alexandre Volkoff zur Seite stand, der später in Deutschland der Abenteuerfilm "Der weiße Teufel" (1930) drehen sollte.) Hatte schon seine Puschkin-Verfilmung "Pikovaya dama" erheblich dazu beigetragen, Filmkunst in Russland als echte Kunstform zu etablieren, so ist seine Tolstoi-Verfilmung für viele Kritiker zum besten prä-sowjetischen Film des russischen Kinos geraten. Nuancierte kleine Kamerabewegungen und eine recht fortschrittliche Montage - die im Vergleich mit dem kommenden sowjetischen Kino ziemlich konventionell anmutet - sorgen mit Mozzhukhins Spiel und einer bestechenden Ausstattung für vereinnahmendes Filmerlebnis, für welches Evgeny Bukke eine Musikuntermalung komponierte. Heute scheint jedoch nur noch eine unvollständige Form des Films zu existieren, der aber wohl auch in der ursprünglichen Fassung Tolstois Erzählung verkürzt wiedergab und vor allem jenen Moment ins Zentrum rückte, in dem Pater Sergius seinen Leib verstümmelt, um seine Seelenheil zu erhalten. Das mag aber auch verzeihlich sein, wenn man die Entwicklung vom vielversprechenden Würdenträger zum Verbannten in Sibirien (bei gleichzeitig voranschreitender moralischer Größe) berücksichtigt, welcher der Film auch durchaus treu bleibt.
Worum es geht? Inhaltsangabe von PierrotLeFou

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