Der Tod der Maria Malibran (1972)
Eine Diva. Das ist eine Göttliche. Ein Mythos. Man behandelt sie nicht wie gewöhnliche Menschen, spricht nicht über sie wie über gewöhnliche Menschen: Eleonora Duse etwa war jedem und jeder stets nur die Duse. Auch Sarah Bernhardt war solch eine Diva. Ihre Wirkmacht kann man sich vor Augen führen, indem man Prousts "À la recherche du temps perdu" (1913-1927) liest. Als erste Diva indes gilt Maria Malibran, die 1908 geborene Opernsängerin, die schon 28jährig verschied. Werner Schroeter widmete ihr mit seinem am 2. März 1972 uraufgeführten TV-Film "Der Tod der Maria Malibran" weniger ein biografisches Porträt als vielmehr eine poetische Mythenbildung, mit ihrer eigenen Entmythifizierung fleich im Gepäck; und mit seiner extravaganten Muse Magdalena Montezuma natürlich, ergänzt um Auftritte von illustren Stars wie Candy Darling, Emmanuelle Riva oder Ingrid Caven... Arien sind zu hören, betörende Gesichter in Nah- und Großaufnahmen, schwelgerisch, sehnsüchtig; und immer wieder ergänzt um Bilder, die wie die Parodie dazu wirken. Viel camp gibt es hier, ungeniertes Dilettantentum in Verbindung mit der ganz großen, opernhaft zelebrierten Geste und allerlei Populärmusik zwischen den Opernzitaten. Blindheit und der Messerstich unter das Auge, die Furcht vor dem Blick in die blendende Sonne: das sind die einen Leitmotive des Films... ("Du sollst dich satt essen, aber ich will dir dafür ein Auge ausstechen", heißt es in einem der Zwischentitel einer Episode, die freilich nichts mit der Qual der Wahl à la "Saw", sondern mit Grimms Märchen und der (Selbst-)Heilung des Blinden durch die Hilfe Jesu Christi.) Die unerfüllte Sehnsucht und der frühe Tod: das sind indes die anderen Leitmotive. Und so klärt sich – obgleich der Film auf feste Hauptfiguren wie auf eine durchgängige Handlung verzichtet und stattdessen auf eine Collage aus Zitaten, Anspielungen und Fragmenten setzt – auf inhaltlicher Ebene allmählich die Form des Films zwischen Pathos und Ironie, zwischen Mythen und Entmythifizierung: denn Schönheit und Wahrheit werden in "Der Tod der Maria Malibran" so vielschichtig wie widersprüchlich mit der Gefährlichkeit assoziiert und die Sehnsucht wiederum verbindet das hehre Ideal mit seiner gleichzeitigen Abwesenheit im Hier und/oder Jetzt. Und Divenkult – im Grunde so schön wie lächerlich – ist für Schroeter ein Faszinosum, das sich mit einiger Reflexion nur noch selbstironisch zelebrieren lässt: weil Schönheit (und nicht nur Liebe) blind macht, weil Trug bequemer sein kann als Wahrheit, weil Verehrung auch Verklärung ist. Und doch: es scheint bisweilen eine Trauer mitzuschwingen, dass (ihm) der Divenkult nur mit solcher Ironie möglich ist. (Auch darin ist Schroeter, gerne als stilistisches Syberberg-Vorbild angesehen, mit Syberberg verwandt: bei ihm war es dann die deutsche Romantik, die nur noch ironisch, aber eben mit einer Trauer über diese unumgängliche Ironie, möglich war; nur dass bei Syberberg diese Trauer prägender geraten sollte, derweil bei Schroeter die Ironie immer wichtiger wurde; weshalb Schroeter dem linken Spektrum des Neuen Deutschen Films zugeordnet wurde, derweil Syberberg später als dessen rechtslastigster Vertreter gelten sollte.)
"Der Tod der Maria Malibran" ist nicht gerade ein leichter Film, kein gut zugänglicher Streifen; aber doch ein Film, der auch ohne enthüllten Sinn eine gute Figur macht und mit Ton und Bild zu becircen und zu unterhalten weiß. Auf DVD ist er in der Edition Filmmuseum erschienenen: Fassungseintrag von PatsyStone