Paris qui dort (1925) & Le fantôme du Moulin-Rouge (1925)
Gleich im Jahr nach seinem einflussreichen Avantgarde-Klassiker "Entr'acte" (1924) legte mit zwei Schritten in Richtung Langfilm zugleich auch eine Bewegung vom Avantgarde- zum Genrefilm vor: Den Anfang machte der wohl im Januar 1925, spätestens am 6. Februar 1925 erstmals gezeigte "Paris qui dort", der – wie später im selben Jahr Lev Kuleshovs "Luch smerti" (1925) oder Aleksey N. Tolstoys Roman "Giperboloid inzenhera garina" (1925) – die Erfindung verhängnisvoller Strahlen zum Thema hat: ein Motiv, das womöglich unter Einfluss der 30 Jahre zuvor entdeckten Röntgenstrahlung die Fantasie Sci-Fi-affiner Literaten und Filmemacher beflügelte. In Clairs Film, bei dem ein junger Claude Autant-Lara als Assistent mitwirkte, erwacht ein Wächter auf dem Eiffelturm und findet ein seltsam lebloses Paris zu seinen Füßen vor. Auf den Streifzügen durch die Gassen am Boden findet er eine ganze Stadt im Dornröschenschlaf vor, stößt aber auch auf eine kleine Gruppe anderer Menschen, die nicht vom lähmenden Schlaf betroffen sind. Hinter dem ganzen Spuk stecken neuentdeckte Strahlen eines Wissenschaftlers – die auch recht dienlich sind, die eigenen leeren Taschen wieder zu füllen. Mit Elementen der Komödie, des Kriminalfilms und des Liebesfilms entwickelt sich diese Sci-Fi-Prämisse, derweil das Agieren der Figuren in eingefrorenen Settings wiederholt surreale Züge erkennen lässt und Film an sich dabei explizit als Medium der Bewegung ausweist. Spätere Sci-Fi-Filme wie die Verfilmungen von "I Am Legend" (1954) oder jüngst auch F. F. Coppolas "Megalopolis" (2024) scheinen teilweise auf Clairs Klassiker zu rekurrieren.
Mit dem entweder im Februar oder (spätestens) am 13. März 1925 uraufgeführten "Le fantôme du Moulin-Rouge" ließ Clair dem mittellangen "Paris qui dort" dann einen Langfilm folgen, der abermals avantgardistische Spielereien mit Genreversatzstücken zum handlungsbetonten Unterhaltungskino vermengt: Dort weicht der Eiffelturm als Wahrzeichen von Paris dem Moulin-Rouge, in dem sich die unter Liebeskummer leidende Hauptfigur einem Wissenschaftler ausliefert, der in seinen Experimenten Geist und Körper des Mannes voneinander trennt, wobei erster (nicht ganz konsequent) als unsichtbarer, dem Kinopublikum transparent erscheinender, teils fragmentierter Körper in Doppelbelichtung erscheint. Auch hier lassen sich surreale Züge finden, es überwiegt aber eher ein gewitzter Collage-Stil, durch den ein Hauch von Dadaismus weht, derweil diese spielerische Formverliebtheit die Handlung selbst nirgends verdrängt. Hier zeichnen sich im Grunde schon spätere Fantasy-Komödien Clairs ab.
Im Gegensatz zu "Le fantôme du Moulin-Rouge" liegt "Paris qui dort" zumindest bei Criterion auf DVD vor: Fassungseintrag von Bretzelburger, der den Film auch mit einem Review bedacht hat.
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