8. April 2022

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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Horror aus Franco-Spanien

La noche del terror ciego (1972) & La novia ensangrentada (1972) & Le semana del asesino (1972)

In den letzten Jahren des Franquismus hatte sich das spanische Kino für den Horrorfilm bereits erstaunlich geöffnet, den die Zensur in ihrer Konzentration auf explizit politische Filme relativ nachlässig behandelte; von 1972 bis 1975, Francisco Francos Tod, war es eine erfolgreiche Mode im kommerziellen Film: Jess Franco, dessen als Geburtsstunde spanischen Horrorkinos geltender "Gritos en la noche" (1962) zehn Jahre zuvor erschienen war, hatte 1971 (als er längst kaum noch ein spanischer Filmemacher mehr war, sondern vielmehr ein europäischer) mit "Vampyros Lesbos" (1971) und "Sie tötete in Ekstase" (1971) zwei seiner beliebtesten Kult-Klassiker in deutsch-spanischer Koproduktion vorgelegt und 1972 seinen Output von vier Filmen im Vorjahr auf nunmehr sieben Filme fast verdoppeln können. Auch die Zahl der in Angriff genommenen Projekte geriet 1972 größer (sodass 1973 ein gutes Dutzend Franco-Filme heraus kam). Und Paul Naschy, der in "La noche de Walpurgis" (1971) zum dritten Mal in seine Paraderolle des Werwolfes Waldemar Daninsky geschlüpft war, verkörperte diese Figur 1972 gleich zweimalig – wenn auch in eher mäßigen Filmen; mit dem Erfolg, dass er 1973 dann nicht mehr bloß in zwei, sondern gleich in zehn Filmen zu sehen war...
1972 brachte Spaniens Horrorkino aber vor allem drei Filme hervor, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zu den kleinen Highlights des europäischen Horrorfilms gehörten. Am 10. April 1972 kommt Amando de Ossorios "La noche del terror ciego" heraus. Die Geschichte, die unschwer von den folkloristischen, allerdings vergleichsweise komplex verschachtelten Geistergeschichten Gustavo Adolfo Bécquers beeinflusst war, ließ untote Templer, die als Teufelsanbeter geblendet und hingerichtet wurden, mitternächtens ihren Gräbern entsteigen, um einer Clique junger Erwachsener zuzusetzen, denen zuvor eher ihre Beziehungsprobleme zu schaffen machten. Damit war de Ossorio, der hier auch den noch jungen modernen Zombiefilm aufgriff, so erfolgreich, dass er drei Fortsetzungen bis 1975 folgen ließ. Diese Tetralogie – 2020 vom italienischen Low-Budget-Filmer Raffaele Picchio um ein loses Remake ergänzt – etablierte mit den kuttentragenden, blinden, skelettierten Templern, die in Zeitlupe auf ihren Pferden durch die Landschaft geisterten, ikonische Figuren des modernen (d. h. auf Splatter setzenden), wenngleich von klassischen Vorlagen inspirierten Horrorfilms. Neben Francos Dr. Orloff und Naschys Werwolf Waldemar Daninsky waren de Ossorios Templer der dritte große Wurf des spanischen Horrorfilms, der heute wohl auch der populärste ist (wenngleich er mit vier Filmen den geringsten Umfang aufwies). Mehr? Review von buxtebrawler
Der am 4. Mai 1972 erschienene "La semana del asesino" von Eloy de la Iglesia verfolgt eine gänzlich andere Linie. De la Iglesia, der schon mit "El techo de cristal" (1971) Psychothriller-Gefilde betreten hatte, nutzt nun den Horrorfilm und seine moderne Splatter-Ästhetik für ein finsteres Drama, das hochgradig subversiv ein populäres metaphorisches Motiv des zeitgenössischen Dokumentar- und Agitationsfilms nutzt: die Schlachtfabrik als ein von Mauern vor dem öffentlichen Blick verborgener Ort des Unrechts. Pere Portabellas subversiver Avantgarde-Film "Umbracle" (1972) nutzte das Motiv ebenso wie der argentinische agitatorische Dokumentarfilm "La hora de los hornos" (1968) von Octavio Getino und Fernando E. Solanas in der Tradition von Georges Franjus "Le sang des bêtes" (1949). Gerade auch im lateinamerikanischen und im spanischen Spielfilm der frühen 70er Jahre findet das Motiv ebenfalls Verwendung: in "Viva la muerte" (1971), "La campana del Infierno" (1973) oder eben in "Le semana del asesino", der dieses Motiv am zentralsten verwendet. De la Iglesia, der im Folgejahr die so sonderbare wie prätentiöse, "A Clockwork Orange"-geprägte Satire "Una gota de sangre para morir amando" (1973) ablieferte und damit ein explizit politisiertes Schock-Kino (von eher bloß durchwachsener Qualität) verwirklichte, setzt in "La semana del asesino" – in dem man ein Übergangswerk de la Iglesias' sehen kann – noch auf Metaphorik: Ein Mann arbeitet in einer Konservenfabrik, ist Zeuge der Schlachtungen im anliegenden Schlachthaus, wird bald zum Mörder der zunehmend mehr Zeugen beseitigen muss, die er bald in der Konservenfabrik verschwinden lassen will. Woraus sich der englischsprachige Titel erklärt, der den Film in eine Ecke drängt, in die er nicht gehört, auch wenn der Film die schon in "El techo de cristal" anklingende Verfütterung menschlicher Leichname anspielt. Dass der – auch von großartigen Schauspieler(inne)n wie Emma Cohen und Eusebio Poncela getragene – Film zudem noch die tabuisierte Homosexualität thematisiert, die hier ebenfalls wie die Gewalt unter der Oberfläche schlummert, verstärkt sein subversives Potenzial noch; auch wenn der homoerotische Aspekt in der spanischen Fassung kleiner gehalten wurde, was den Zensur geschuldet war, die schon erste Drehbuchentwürfe abgelehnt hatte. Erst vor zwei Jahren legte Subkultur den Film in einer Dual Format-Edition neu auf, die – obgleich auf 150 Exemplare limitiert – noch immer recht erschwinglich ist: Fassungseintrag von scholle84
Vicente Aranda ist mehr noch als de la Iglesia ein Filmemacher mit Hintersinn gewesen. Und sein am 30. September 1972 uraufgeführter "La novia ensangrentada" ist sicher der beachtlichste spanische Horrorfilm des Jahres. Lose auf Joseph Sheridan Le Fanus "Carmilla" (1871/1872) basierend – jener Geschichte einer latent lesbischen Vampirin, die unter anderem Bram Stoker beeinflusste, den Vampirfilm der Jahre ab 1968 maßgeblich prägte und jüngst ihr 150jähriges Jubiläum feiern konnte. Auch Aranda, der mit dem experimentell-avantgardistischen Spielfilm "Fata Morgana" (1965) begonnen hatte, schnell zum Aushängeschild der Escuela de Barcelona avancierte und später mit dem historischen Kriminaldrama "Amantes" (1991) wieder einen größeren Erfolg verbuchen konnte, lieferte mit "La novia ensangrentada" seinen wohl bis dato größten und vielleicht auch nachhaltigsten Erfolg ab. Der Ausflug in den Horrorfilm, dem unter anderen der Thriller "Las crueles" (1969) vorangegangen war, reiht sich in die lange Reihe der erotischen Vampirfilme der frühen 70er Jahre ein, von denen so einige auf Le Fanu rekurrierten. Wie schon in einigen früheren Vampirfilmen geht es auch hier bei Aranda um einen Krieg der Geschlechter: merklich zentraler als anderswo, souveräner inszeniert noch zudem, aber eben auch zurückhaltend genug, um sein Anliegen an der Zensur vorbeizumogeln und patriarchalische (und wie man heute sagen würde: toxische) Männlichkeit zu kritisieren, welche für den Franquismus so stützend war wie der Katholizismus. Arandas Kontextualisierung in der spanischen Filmlandschaft seiner Zeit und die Rolle der patriarchalischen Männlichkeit im Vampirfilm und im Kontext des Franquismus habe ich ausführlicher im Review des Film behandelt. Kürzer fasst sich Randolph C., der in seinem Review den Film ebenfalls in den Kontext des Vampirfilms seiner Zeit stellt und die Geschlechterbeziehung im Rahmen eines Dreipersonenstücks behandelt. Seit rund vier Jahren liegt Arandas Klassiker bei Mondo Macabro auf Blu-ray vor: Fassungseintrag von Mikes Filmreviews

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