28. Juni 2019

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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Ein verspäteter Godard aus seiner Phase des Umbruchs

Le gai savoir (1969)

In den 80er und vor allem in den 90er Jahren ließ sich immer deutlich wahrnehmen, dass Godard durchaus mystik-affin war; darin durfte man vor allem ein Ergebnis aus Melancholie und Altermilde erblicken – wäre da nicht das Werk, welches das Ende seiner Frühphase und den Beginn seiner radikal politisierten Phase seiner "unsichtbaren" Kollektiv-Filme gleichermaßen markiert. "Le gai savoir", uraufgeführt auf der Berlinale am 28. Juni 1969, wurde bereits im Dezember 1967 und im Januar 1968 gedreht: Zu dieser Zeit waren "2 ou 3 choses que je sais d'elle" (1967), "La chinoise" (1967) und "Week End" (1967) sowie der von Chris Marker initiierte episodenhafte Kollektivfilme "Loin du Vietnam" (1967) bereits entstanden und kündigten das Ende seiner konventionellen Spielfilme an. "Le gai savoir" ruhte dann eine ganze Weile, derweil die Essayfilme "One plus One" (1968) und "Un film comme les autres" (1968) – als groupe-dsiga-vertov-Kollektivfilm – herauskamen; sowie die im Pariser Mai geschossenen "Cinétracts" (1968). Erst nach dem Pariser Mai stellte Godard "Le gai savoir" fertig – für das Office de Radiodiffusion Télévision Française, welches den Film dann gar nicht ausstrahlte, derweil das Werk nach dem Berlinale-Start hierzulande auf diversen TV-Sendern bis in die 70er Jahre hinein lief. In der Phase, in der Godard vielleicht die radikalsten Veränderungen seiner Karriere durchlief, entsteht also "Le gai savoir" über mehrere Filme und Jahre hinweg, sowohl den Geist seiner essayistischen 67er-Spielfilme atmend, als auch die enorme Sperrigkeit der Folgefilme aufweisend.

In diesem Film nimmt Godard bereits auf eines der Hauptwerke Nietzsches Bezug, auf die titelgebende "Fröhliche Wissenschaft" (1882/1887), in welcher der deutsche Philosoph mit Hang zum Poetisch-Enigmatischen davon sprach, dass "auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendalter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Platos war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist..." Die sprach- und erkenntnisphilosophischen Elemente, die Godard ab "2 ou 3 choses que je sais d'elle" in sein Werk brachte, nehmen hier eine Größe an, die in diesem Ausmaß eher unüblich für den Godard jener Jahre war; erst in seinen Filmen über das Kino ab den 80er Jahren kehrte er mehr und mehr zu solch einer Intensität und Zentralität solcher Fragestellungen zurück. Vielleicht war es die Anbahnung des Pariser Mais, die Godards Interesse auf sich zog und zu stärker politischen Filmen bewegte. Zwar finden die "Cinétracts" eindeutig Eingang in "Le gai savoir", der seine Medien- und Erkenntnistheorien im Umfeld der 68er-Bewegung verhandelt, aber wenngleich die Hauptfiguren Lumumba und Rousseau heißen und der Film enorm viel Zeitgeist atmet und in vielen Details nur mit etwas historischer Nachforschung verständlich wird, scheint diese assoziativ-rätselhafte Analyse der Medien(macht) doch fernab vom Strom der großen Ereignisse des Jahres zu fließen. Hier schimmert dann auch (neben Bezügen auf Nietzsche, Rousseau und Descartes) eine wittgensteinsche Mystik-Affinität durch, die Godard künftig weitestgehend meiden und im Spätwerk dann wieder ausweiten sollte.

In drei Schritten sammeln, kritisieren und rearrangieren Juliet Berto als Émile Rousseau und Jean-Pierre Léaud als Patricia Lumumba Bilder, Töne und Texte, untermalt von Godards Off-Kommentaren. Es werden – wie es gelegentlich bei Godard geschieht – eher gehaltarme Episoden minutenlang durchgehalten, ehe dann wieder assoziationsreiche Verweise in Hülle und Fülle auf einen niederprasseln. Etwas Interesse für die großen Ikonen und die kleinen Randfiguren der 68er-Jahre vorausgesetzt, schärft Godards Film als Spiel mit Ähnlichkeiten und Abweichungen stellenweise durchaus ein Bewusstsein für die Verweismacht von Farben und Formen, Tönen und Symbolen – und nimmt bisweilen die Form eines Essayfilm, bisweilen auch die Form eines typisch zeitgenössischen Experimentalfilms an. Eine nützliche Hilfestellung dürfte (neben zahlreichen anderen Godard-Bänden) der Dialog von Silverman und Farocki zu diesem Film (innerhalb ihres ziemlich empfehlenswerten Godard-Buches) sein.
Der einstmals schwer erhältliche Godard liegt seit 2011 deutsch untertitelt auf DVD vor: Fassungseintrag von Athen

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