29. Mai 2017

Beitrag

von PierrotLeFou

Vor 75 Jahren: Subversives vom Propagandafilmer?

Kleine Residenz (1942)

Hans H. Zerlett war wahrlich kein Unbefleckter: Zwar kein Veit Harlan, keine Riefenstahl - und auch kein Regisseur derber Hetzfilme wie "Heimkehr" (1941) oder "Der ewige Jude" (1940). Aber Zerlett hatte mit der musikalischen Komödie "Robert und Bertram" (1939) einen der frühesten großen antisemtischen Propagadanfilme angefertigt - dass er mit seinem titelgebenden Heldenpaar zwei beinahe schon Laurel- & Hardy-artige Vagabunden, unkonventionelle Bummelanten anbietet, ist der Grund dafür, weshalb das antisemitische Grundgerüst dennoch nicht die erwünschte Propaganda im Sinne der Nationalsozialisten darstellte. Einige Filme später folgte mit "Venus vor Gericht" (1941) der bekannteste Film, der gegen eine vermeintlich "entartete Kunst" vorging - ein in seinem selbstgerechten Witz höchst unerquicklicher Film. Nach dem Krieg kommen noch bis in die späten 50er Jahre ein paar Zerletts in die Kinos - gedreht hatte er sie aber allesamt vor Kriegsende: z.B. "Spuk im Schloss" (1943-1944/1947) oder "Schuß um Mitternacht" (1944/1950), sogenannte Überläufer... Zerlett selbst befand sich nach Kriegsende die meiste Zeit in sowjetischer Gefangenschaft, in der er 1949 an einer Tuberkulose-Erkrankung verschied: es soll ihm allerdings die Arbeit an "Hitlerjunge Quex" (1933) vorgeworfen worden sein - einem Propagandafilm, an dem Zerlett nun ausgerechnet nicht mitgearbeitet hatte.

Der am 28. Mai 1942 uraufgeführte und mit Lil Dagover prominent besetzte "Kleine Residenz" zählt neben "Venus vor Gericht" und dem unangepassten Propagandafilm "Robert und Bertram" zu den nennenswertesten Zerletts: doch noch stärker als "Robert und Bertram" passt er nicht so völlig in das Konzept nationalsozialistischer Propaganda und sorgte auch über Jahrzehnte hinweg bei seinem (eher kleinen) Publikum immer wieder für Erstaunen. "Kleine Residenz" ist doch tatsächlich eine satirische Farce über die Herstellung von Propaganda: und je nach persönlicher Haltung gegenüber der Person Zerlett, je nach Einschätzung der Gewieftheit der Zensoren lässt sich "Kleine Residenz" als unverschämte Parodie auf den Propagandafilm, gar als Kritik werten, oder aber als heimtückisch-hintersinnige Vortäuschung einer Offenheit des deutschen Filmbetriebs, in welchem jede Meinung zu Wort kommen könne und in welchem Propaganda nur in den großen, explizit politischen Prestigefilmen stattfände... wie z.B. in Harlans "Der große König" (1942), dessen Beginn etwa Joe Hembus im Anfang von "Kleine Residenz" parodiert sieht.
"Kleine Residenz" behandelt die Vorbereitungen eines Theaterstückes, in welchem ein gewisser "Otto der Eiserne" heroisiert werden soll. Doch dieser soll tatsächlich keine Heldengestalt, sondern eine eher erbärmliche Figur, ein "ganz großer Versager, vor allem auf kriegerischen Gebiet" gewesen sein. Als dem Intendanten, der seine Inszenierung bisher stets den Anordnungen des Herzogs angepasst hat, diese Geschichte zu Ohren dringt, schreibt er das vorliegende Heldenstück über den eisernen Otto kurzerhand um - ohne zu ahnen, dass es sich bei dem tatsächlichen Verfasser um den Herzog höchstselbst handelt, der mit "Otto dem Eisernen" sogar verwandt ist.
Dass der Film nicht in der Zeit des Dritten Reiches spielt, dass er eine Richtigstellung der Geschichte behandelt, lässt erahnen, dass "Kleine Residenz" durchaus auch in der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten Platz finden konnte: Mit "Kleine Residenz" lassen sich letztlich auch vermeintliche Richtigstellungen der Geschichte in deutlich tendenziösen Historienfilmen wie "Jud Süß" (1940) rechtfertigen; denn Propaganda und Aufklärung tauschen hier die Rollen, das Wahre scheint letztlich Lüge zu sein, die Umkehrung deren Richtigstellung - und der Verstoß gegen herzogliche Vorgaben erntet letztlich sogar des Herzogs Zustimmung. Was als Drama geplant war, sei in Satire umgeschlagen - so urteilt der Herzog am Ende des Films und stellt fest, dass Drama und Satire dicht beieinander lägen. Das sei, erklärt er dem Intendanten dann sogleich, aber bitteschön ein einmaliges Experiment, bei welchem man es belassen wolle.
Auch "Kleine Residenz" blieb ein einmaliges Experiment. Ein mehrdeutiges Experiment, in welchem man wahlweise Propaganda oder deren satirische Kritik sehen konnte. Trotz seiner Eigenarten ist es vor allem auch ein vergessenes Werk, das bislang nur via TV-Ausstrahlungen zugänglich ist.

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