26. April 2021

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von PierrotLeFou

Vor 75 Jahren: Vittorio De Sicas Prä-”Ladri di biciclette”-Meisterwerk

Sciuscià (1946)

Kinder sehen uns an: "I bambini ci guardano" war der Titel jenes De-Sica-Frühwerks, das heute zu dessen bekanntesten zählt: es setzte bereits eine kleine Anzahl von Pensionats- und Mädchenschulen-Filmen fort, die heute weitgehend unbekannt sind, und mündete dann im unter anderem von Cesare Zavattini geschriebene "Sciuscià", jenem am 27. April 1946 uraufgeführten Klassiker des Neorealismus, der sich als Beginn von De Sicas Hauptwerk – dessen neorealistische Phase sich bis in die Mitt-50er-Jahre, dessen komödiantische Phase sich bis in die späten 60er Jahre ziehen sollte! – in die Filmgeschichte einschrieb. Die Leidensgeschichte von Kindern in einer Welt der Erwachsenen, die De Sica im Grunde auch in "Ladri di biciclette" (1948) nochmals als Vater-und-Sohn-Geschichte erzählte, steht auch hier in Zentrum: Die befreundeten Jungen Pasquale und Giuseppe verdingen sich im jungen Nachkriegs-Italien als Schuhputzer, können sich aber auf diese Weise freilich nicht den Traum vom eigenen Pferd erfüllen. Als sie über den Bruder des einen auf dem Schwarzmarkt Geschäfte zu machen beginnen (und sich ein Pferd von großer Symbolfunktion beschaffen können), landen sie im Jugendgefängnis, worunter ihre Freundschaft zu leiden haben wird. Am Ende stehen zwei Katastrophen: die Unversöhnlichkeit weicht der Freundschaft erst wieder, als es zu spät ist.
Vom Krieg, der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Schwarzmarkttreiben gleichermaßen geprägt, trifft die Kinder das Recht der Erwachsenen dennoch mit aller Härte. Wie in Roberto Rossellinis "Paisà" (1946) rückt "Sciuscià" das Nachkriegsitalien bereits im Titel in den Blick: denn was hierzulande durchaus zutreffend mit "Schuhputzer" übersetzt wurde, ist eine Art Italienisierung einer Bezeichnung von US-Besatzungssoldaten (während es sich bei "Paisà" um eine Art Italienisierung einer englischsprachigen Verknappung durch Besatzungssoldaten des italienischen Begriffs paesano handelt). In der Reflexion der Gegenwart und ihrer sozialen Problematiken durchaus neorealistisch, im Setting des Innenraums (des Jugendgefängnisses) während des Hauptteils nicht so ganz der neorealistischen Ästhetik entsprechend, schlägt "Sciuscià" – keinesfalls arm an Melodramatik und einem Anflug von Sentimentalität – einen Weg ein, dem der schweizer Redakteur und Filmkritiker Martin Schlappner in seinem Band Von Rossellini zu Fellini. Das Menschenbild im neorealistischen Film (1958) "eher eine lyrische als eine dramatische Gangart" (S. 114) beimaß: eine Entkettung der Handlung aus dem Aktions-Reaktionsschema, welches seit Deleuze dem Neorealismus als erstem wahrhaft modernen Film meist zugeschrieben wird, kann man hier schon erkennen. Mehr zum Inhalt des Films – der spärlich ausgestattet, ohne durchgängige Untertitel, aber mit deutscher Synchro bei Pidax vorliegt (Fassungseintrag von dirkvader), der aber in empfehlenswerteter Form von Eureka in der Masters of Cinema-Reihe veröffentlicht worden ist (Fassungseintrag von Phileas) – ist der ausführlichen Inhaltsangabe von Porganius zu entnehmen...

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