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von Stefan M

Vor 100 & vor 75 Jahren: Hitchcocks erster vollendeter Film sowie Hitchcocks letzter Flop vor seiner beeindruckenden Meisterwerk-Phase

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The Pleasure Garden (1925) & Stage Fright (1950)
Eigentlich hätte Alfred Hitchcocks langlebige Karriere als einer der bedeutendsten Regisseure aller Zeiten bereits drei Jahre vorher beginnen sollen: 1922 wollte er im zarten Alter von 23 Jahren seinen Debütfilm "Number 13" drehen, aber da die finanziellen Mittel samt Schauspieler und Statisten ausgingen, musste das Projekt gestoppt werden. Drei Jahre später aber erhielt er die nächste Chance – und diesmal hatte er mehr Glück: "Irrgarten der Leidenschaft" (im Original: "The Pleasure Garden") war nach einer Vorlage von Oliver Sandys das erste von 53 Werken, die er im folgenden halben Jahrhundert inszenieren sollte.
Wie so viele von Hitchcocks frühen (Stumm-)Filmen bewegt er sich noch auf ungewohntem Terrain und hat noch nichts von dem zu bieten, womit der Brite sich später einen Namen machen sollte: Suspense. Stattdessen ist "Irrgarten der Leidenschaft" ein Drama mit tödlichem Ausgang, im Mittelpunkt die Revuetänzerinnen Patsy (Virginia Valli) und Jill (Carmelita Geraghty). Letztere steht noch ganz am Anfang ihrer Karriere und geht im festen Bestreben, ein Star zu werden, vielleicht nicht über Leichen, aber durchaus rücksichtslos vor, wenn es nur ihrer Zukunft dient. Patsy hingegen gerät mit Levitt (Miles Mander) an einen Mann, der alsbald alkoholsüchtig wird und dem Wahnsinn verfällt.
Es wäre ein relativ vergessenswerter Film, hätte ein anderer auf dem Regiestuhl gesessen. Zwar versucht sich Hitchcock bereits hier an ein paar visuellen Spielereien und ungewöhnlichen Einstellungen, die das an sich wenig bemerkenswerte Storygerüst teilweise aufpeppen, aber so richtig von der Leine gelassen ist er noch nicht. So bildet die kolportierte Hintergrundgeschichte zu den Dreharbeiten (Geld wurde gestohlen, das Filmmaterial fast konfisziert und ein Teil der Darsteller legte Divengehabe an den Tag) beinahe einen interessanteren Film. Hierzulande interessant ist ferner, dass "Irrgarten der Leidenschaft" eine britisch-deutsche Co-Produktion ist, sprich: Die Außenaufnahmen fanden in Italien am Comer See, die Innenaufnahmen jedoch in München statt. Dort sollte der Film auch am 3. November 1925 seine Premiere feiern und löste euphorische Kritiken aus. Der erste Schritt war für Hitchcock getan…
25 Jahre später war Hitchcock ein alter Hase in seinem Metier. Nach seiner Erfolgssträhne in Großbritannien von 1934 bis 1938 mit sechs Thrillern von David O. Selznick nach Hollywood geholt und auch diese Zeit (1940 bis 1947) nach sieben Jahren hinter sich gelassen habend war er allerdings in einer Phase des Strauchelns: Zog bereits "Der Fall Paradin" noch unter Selznicks wachsamem Auge nicht mehr so recht, so musste er den Versuch, mit Transatlantic Pictures seine eigene Produktionsfirma zu gründen, um sein eigener Herr zu sein, bereits nach zwei erfolglosen Filmen ("Cocktail für eine Leiche" und "Sklavin des Herzens") wieder aufgeben. Und auch mit dem am 23. Februar 1950 uraufgeführten "Die Rote Lola" nach einer Vorlage von Selwyn Jepson kam er noch nicht aus seinem Loch heraus, obwohl er dafür zwei weibliche Stars gewinnen konnte: die frisch gebackene Oscargewinnerin Jane Wyman und Marlene Dietrich. (Daher auch der irreführende Titel "Die Rote Lola", die wohl Erinnerungen an Dietrichs damaligen Hit "Der blaue Engel" wecken sollte.)
Zeitlebens führte Hitchcock den Misserfolg auf die Whodunit-Rätselspiel zurück, die seiner Meinung nach kein klassischer Stoff für ihn war. Im Interview mit François Truffaut bezeichnete er auch die Rückblende, die den Film einleitet, als großen Fehler, weil sie Dinge erzählt, die sich in Wirklichkeit so gar nicht zugetragen haben. Doch nichts davon sind plausible Gründe dafür, dass das Publikum sich wenig begeistert zeigte. Mit dem Theatermilieu bewegt sich "Die Rote Lola" in einem ähnlichen Milieu, in dem er schon "Irrgarten der Leidenschaft" ansiedelte, und auch der (vermeintlich) unschuldig Verdächtige ist wieder mit dabei, diesmal in Gestalt von Jonathan (Richard Todd), der den Ehemann seiner Liebhaberin umgebracht haben soll. Er schiebt allerdings seiner Geliebten Charlotte (Marlene Dietrich), einer Schauspielerin, den Mord in die Schuhe. Um seine Unschuld zu beweisen, lässt sich seine langjährige Freundin Eve (Jane Wyman) – ebenfalls eine Schauspielerin, wenn auch eine angehende – als Charlottes Zofe einstellen.
Eine Schauspielschülerin, die schauspielern muss, um eine Schauspielerin des Mordes zu überführen, bis sie merken muss, dass sie selbst einem Schauspiel ihres Freundes Jonathan aufgesessen ist – man sieht, was Hitchcock gereizt hat, aber irgendwie funktioniert der Film nicht so gut: Die Hauptdarstellerinnen harmonieren nicht, weil Dietrich ein viel zu großer Star war, der männliche Hauptdarsteller Todd ist eher blass, und klassische Spannungsszenen fehlen zum großen Teil gänzlich, weil nicht einmal unterschwellig eine Gefahr erzeugt wird, die seine besten Filme dominieren. "Die Rote Lola" zeigt letztlich zwar Hitchcocks handwerkliche Qualitäten, doch diesmal sollte es ihm nicht gelingen, auch erinnerungswürdige Szenen aus dem durchschnittlichen Drehbuch herauszuholen.
Heute markiert "Die Rote Lola" den letzten seiner vier seinerzeit floppenden Filme vor Hitchcocks triumphaler Rückkehr zu Glanztaten: beginnend mit "Der Fremde im Zug" (1951) und endend erst mit "Die Vögel" (1963).



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