The Wizard of Gore (1970)
Vor 60 Jahren hat Herschell Gordon Lewis im Filmgeschäft begonnen, dem er dann schon 1972 wieder den Rücken kehrte – um eine Haftstrafe anzutreten und sich der Werbebranche zuzuwenden –, ehe er 2002 wieder ins Filmgeschäft zurückkehrte und bis zu seinem Tod im Jahr 2016 insgesamt noch drei Spätwerke vorlegte. Angefangen hatte er mit nudies, berüchtigt ist er freilich für seine Splatterfilme, die trotz mancher Vorläufer als Geburtsstunde des Splatterfilms überhaupt gelten. "Blood Feast" (1963) gab seinerzeit die Richtung vor: krude, blutrünstige Gewaltakte in Farbe und Großaufnahme, simpel getrickst, aber saftig, deftig, schmatzend und suppend. Extreme Gewalt, die allerdings für heutige Sehgewohnheiten mit einer erstaunlichen Behäbigkeit zelebriert (und ohne jegliche inszenatorische Raffinesse inszeniert) wird, stellt die Sensation seiner Filme dar, in denen sich meist eher nebensächliche, hölzern gespielte Handlungen rund um die gewalttätigen Nummern drehen. Wohl aufgrund der Grand-Guignol-Tradition zogen Lewis' Exploitationfilme in Frankreich größeres Interesse auf sich: ein Kritiker der Cahiers du Cinema soll der Legende nach fasziniert geäußert haben, Lewis' Schaffen müsse man im Auge behalten. Und tatsächlich besitzen die besseren Filme Lewis' – wenngleich man sie kaum als gut bezeichnen kann – einen eigentümlichen Reiz, der in den durchschaubaren, aus camp-Perspektive genießbaren Gewaltakten inmitten minimalistischer Thriller-Versatzstücke liegt...
Auf die Grand-Guignol-Tradition, die passenderweise just vor "Blood Feast" im Jahre 1962 endete, griff Lewis dann 1970 zurück, als er – nach vielen harmloseren, tendenziell eher langatmigen Filmen von 1966 bis 1969 (unter denen nur "The Gruesome Twosome" (1967) noch als handfester Splatterfilm daherkommt) – wieder an seine blutrünstigsten Werke anknüpfte und "The Wizard of Gore" sowie etwas später noch "The Gore Gore Girls" (1972) drehte. "The Wizard of Gore", der am 23. Oktober 1970 in die Kinos gelangte, reflektiert den Reiz der Splatterästhetik, indem er sie in der Filmhandlung zum Bestandteil einer Bühnenshow geraten lässt: Montag the Magnificent führt bei seinen Auftritten als Illusionist blutige Kunststücke mit hypnotisierten Frauen vor. Die Opfer überstehen die gewalttätigen Vorführungen zwar unversehrt, sterben dann aber etwas später und andernorts an den Verwundungen, die ihnen auf der Bühne anscheinend zugefügt worden waren. Eine TV-Moderatorin und ihr Partner gehen der Sache auf den Grund, bis am Ende weder für sie noch für das (Kino-)Publikum ersichtlich ist, was Wirklichkeit und was Illusion ist. Hier kennt ein Film(emacher) nicht bloß seine (Grand-Guignol-)Wurzeln, sondern hier wurde ein Konzept vorgegeben, das mit seiner Thematisierung von Täuschung und Voyeurismus in qualitativ höchst unterschiedlichen Filmen wie "Last House on Dead End Street" (1973/77), "The Incredible Torture Show" (1976), "Videodrome" (1983), dem Remake "The Wizard of Gore" (2007) oder Lewis' eigener "The Uh-oh Show" (2009) variiert worden ist. Wie in seinem 2000er-/2010er-Spätwerk, in dem Lewis – längst im Greisenalter angekommen – zwischen einem manirierten, sein eigenes Werk zitierenden Retro-Stil und Einflüssen einer von John Waters, Troma und dem Internet beeinflussten Filmkultur wechselte, erweitert er auch schon in "The Wizard of Gore" Gehalt und Stil seines Hauptwerkes, indem er beinahe mehr noch als die deftigen Splatterszenen die Schaulust selbst recht reflektiert zum Faszinosum des Films macht.
Bereits im Monat nach Lewis' Ableben veröffentlichte arrow den Film mit 13 weiteren Filmen der Splatterfilm-Legende auf Blu-ray: Fassungseintrag von Ronny C.