27. November 2020

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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Spätwestern / New-Hollywood-Western

Rio Lobo (1970) & Little Big Man (1970)

"Unamerikanisch" nannte John Wayne, Urgestein und Legende des wohl amerikanischsten Filmgenres überhaupt, den Klassiker "High Noon" (1952) von Fred Zinnemann, in dem ein Sheriff zu Beginn seines Ruhestandes Solidarität und Unterstützung sucht, um einen bald eintreffenden Mörder mit seiner Bande zu stelllen. Auch Howard Hawks hatte für Zinnemanns Meilenstein nicht viel übrig. Mit Wayne in der Hauptrolle schuf er so "Rio Bravo" (1959), der sich wie ein Gegenentwurf gibt (und zugleich eine Art Blaupause für das spätere beklemmende Thriller-Kino eines John Carpenter wurde): Hier hat der Sheriff keinen Bedarf für Unterstützung; diese würde bloß noch mehr Mühsal bedeuten, wenn es sich nicht um vollständig professionelle Kräfte handeln sollte. Und so unterstützt ihn nur ein kleiner enger Kern gegen eine Überzahl von Feinden. Zwei weitere Western ließ Hawks noch folgen: "El Dorado" (1967) und "Rio Lobo", der am 16. Dezember 1970 seine Uraufführung erlebte. Beide werden als thematisch eng verwandt betrachtet, ja sogar als freie Variationen von "Rio Bravo", sodass "Rio Lobo" bisweilen auch als Abschluss einer äußerst losen Trilogie betrachtet wird, die bloß von Wayne, Hawks und einigen wiederkehrenden Motiven zusammengehalten wird. Tatsächlich hatte Hawks die Ähnlichkeit des Films mit "Rio Bravo" und "El Dorado" eingestanden – und diese Ähnlichkeit trug "Rio Lobo" bisweilen den Vorwurf des unoriginellen neuerlichen Aufgusses ein. Doch passt diese Müdigkeit ganz gut zu Hawks' letztem Film, in dem ein 63jähriger John Wayne brilliert: diesmal ganz ohne große Namen an seiner Seite. Schon in "El Dorado" war das Altern auch in den Film eingedrungen, auch wenn es dort noch eine Kugel war, die Waynes Arm zeitweilig das Opfer von Lähmungen werden ließ. "Rio Lobo" setzte zwar diese Zunahme von Düsternis nicht konsequent fort, aber am Ende des Films schreiten die Figuren doch gezeichnet in die Zukunft: Wayne humpelt auf einem verwundeten Bein, die schöne Frau, die ihn stützt, trägt eine riesige Narbe in ihrem Gesicht. Und die Zeit, so ahnt man, wird nicht alle Wunden spurlos heilen... Con Trai widmet sich in seinem lesenswerten Review Hawks' Klassiker.
Zwei Tage vor diesem letzten Film Hawks' kam am 14. Dezember 1970 der Western "Little Big Man" in die Kinos. Arthur Penn, der Regisseur, hatte drei Jahre zuvor mit "Bonnie and Clyde" (1967) den großen Markstein des New Hollywood neben "The Graduate" (1967) abgeliefert (Anniversary-Text). Tatsächlich stammte er – wie Sidney Lumet oder Robert Altman – aus einer Generation, die sich Anfang der 50er Jahre beim Fernsehen (mit Live-Fernsehspielen) etablierte und noch zur Ära des Classical Hollywood Kinofilme inszenierte. Schon 1958 inszenierte Penn einen Western: "The Left Handed Gun" mit Paul Newman. Aber mehr noch als ein Lumet oder Altman ließ Penn dann, mit "The Miracle Worker" (1962), Einflüsse einer neuen Welle erkennen, die gerade in Frankreich toste. Hier zeichnet sich ab, dass einer aus dem Korsett des Classical Hollywood auszubrechen begann. Diesen Ausbruch stellte dann "Bonnie and Clyde" dar, dem Penn den höchst modischen "Alice's Restaurant" (1969) mit Musiker Arlo Guthrie in der Hauptrolle folgen ließ. Der bereits auf die 50 zugehende Regisseur gab sich als Filmemacher einer neuen, jungen Generation – während zeitgleich ein "Easy Rider" (1969) zeigte, wie eine filmästhetische Hollywood-Revolution tatsächlich aussehen musste. "Little Big Man", in der Hauptrolle besetzt mit "The Graduate"-Star Dustin Hoffman, mixt wie "Rio Lobo" Heiterkeit und Trauer in die Western-Story, ist weit deutlicher als "Rio Lobo" ein Film über Westernmythen und das Altern – und letztlich doch ein gänzlich anderer Film, der viel New-Hollywood-Luft atmet, wohingegen Hawks mit seinem Wayne, der mit den 68ern so gar nichts gemeinsam hatte, dem klassischen Western auf hawkssche Weise folgte. Es geht – wie in vielen Spätwestern – um die Indianerkriege, von denen Dustin Hoffmans Jack Crabb 121jährig berichtet, nachdem er als Grenzgänger zwischen den Weißen und den Rothäuten durch die Geschichte gegangen war. Es geht um die Ausrottung der Indianer, um den Verlust von Werten der Weißen – und natürlich um Vietnam, welches in diesen Indianerkriegen spürbar mitvibriert, so wie es auch in "Soldier Blue" (1970) oder Marco Ferreris "Touche pas à la femme blanche" (1974) der Fall sein sollte. (Sowas allein wäre in einem John-Wayne-Vehikel kaum denkbar gewesen: In "The Green Berets" stemmte sich der Western-Star mit aller Macht gegen die Anti-Vietnam-Haltungen, die zunehmend um sich griffen.) Darauf macht auch MäcFly in seinem Review aufmerksam, das prägnant Schlüsselmomente des Films benennt...

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